Elizabeth George: Whisper Island. Sturmwarnung, Aus dem Amerikanischen von Ann Lecker-Chewiwi und Bettina Arlt, INK, Egmont Verlag, Köln 2011, 445 Seiten, €19,99, 978-3-86396-001-8
„Weil, dachte Becca, weil… weil. Weil die Worte im Zimmer herumflogen wie böse Geister, die nach jemandes Seele schrien. Weil sie nicht sagen konnte, welche Gedanken wem gehörten.“
Die 14-jährige Hannah Armstrong muss eine neue Identität annehmen, denn ihr Stiefvater, Jeff Quinn, ist ihr auf der Spur. Als Zufluchtsort hat Hannahs Mutter Whidbey Island ausgewählt, denn hier lebt eine Freundin, die das Mädchen aufnehmen soll.
Die leicht rundliche, ursprünglich rothaarige Hannah heißt nun Becca King. Mysteriös ist Beccas seltsame Veranlagung, sie kann in die Privatsphäre jedes Menschen eindringen und seine Gedanken geflüstert hören. Und sie spürt die Gefühlslagen anderer Personen. Mal vernimmt sie unzusammenhängende Wortfetzen, dann wieder völlig verständliche Sätze. Aus diesem Grund trägt das Mädchen ein Gerät, ähnlich einem mp3-Player, das sie mit Rauschgeräuschen versorgt, damit sie sich z.B. im Unterricht konzentrieren kann. Jeff Quinn hat sich Beccas besondere Fähigkeit zu nutze gemacht und Menschen und ihre Gedanken ausspioniert, um sie zu manipulieren. Und er hat seinen Partner getötet, das konnte Becca seinen Gedanken ablauschen. Nun sind sie und ihre Mutter vom westlichen Amerika in den östlichen Teil auf der Flucht.
Allein reist Becca zur Insel, doch sie wird von der Fähre nicht abgeholt und muss entdecken, dass die Freundin ihrer Mutter plötzlich verstorben ist. Auch die Handyverbindung zur Mutter ist abgebrochen. Durch mehrere zufällige Bekanntschaften auf der Insel gerät Becca an die mütterliche Debbie Grieder, die sie, ohne lang Fragen zu stellen, in ihrem Motel gegen ein paar Gefälligkeitsjobs aufnimmt.
Becca lernt den Außenseiter Seth kennen, der die Schule abgebrochen hat und nun eine Musikkarriere anstrebt. Sie freundet sich mit Derric an, der ursprünglich aus Uganda stammt und als Fünfjähriger adoptiert wurde.
Alle Menschen, denen Becca begegnet, sind in tragische Konflikte verstrickt. Debbies Sohn sitzt wegen Drogenmissbrauchs im Gefängnis, ihre Tochter ist, auch durch Debbies Schuld bei einem Unfall ums Leben gekommen. Derric fühlt sich zu Afrika hingezogen, weil er sich schuldig fühlt, Seth hätte längst mit seinem Nachhilfelehrer die Arbeit aufnehmen müssen.
Dann geschieht ein tragisches Unglück. Becca entdeckt den verletzten Derric im Saratoga Woods und ruft mit ihrem Handy Hilfe. Ein schwerer Fehler, denn nun verfolgt die Polizei die Handybesitzerin und gelangt an den Namen Armstrong. Becca weiß, sie ist in Gefahr. Auch mit Debbie entstehen Probleme, denn sie beschuldigt Seth, dass er Becca mit Drogen versorgen könnte.
Bleibt die Frage, wurde Derric in die Waldschlucht gestoßen oder war es ein harmloser Unfall? Seth war mit seinem Hund vor Ort, Kiffer, die sich im Wald treffen und Becca. Schnell streuen sich Gerüchte. Doch nur Becca kann durch ihre Fähigkeiten den im Koma liegenden Derric ins Leben zurückholen.
Elizabeth Georges Mischung aus Fantasy- und Krimihandlung liest sich zwar spannend und unterhaltsam, wirkt aber doch szenenweise unglaubwürdig, als würde die erdachte Fiction in sich nicht stimmen. Mag Debbie eine vom Schicksal gebeutelte Frau sein, doch nimmt sie wirklich ein minderjähriges Mädchen ohne elterlichen Schutz, Papiere und Wissen um die Person auf? Becca behauptet zwar immer, dass ihre Mutter bald kommen würde, aber sie taucht ja nicht auf. Das Flüstern und mögliche Eindringen in die Gedanken des anderen scheint ein Alptraum für Becca zu sein, hilft aber auch in schwierigen Situationen.
Sicher geht es in der Geschichte um Vertrauen, Vorurteile oder Rassismus und doch überzeugt der Handlungsverlauf nicht wirklich. Das mag an der konstruierten Erzählstruktur liegen, aber auch an den so durchsichtigen Hauptfiguren.
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