Anna Hope: Was wir sind, Aus dem Englischen von Eva Bonné, Carl Hanser Verlag, München 2020, 360 Seiten, €22,00, 978-3-446-26563-9


„ Das Leben ist immer noch formbar und voller Potenzial. Noch sind die unerkundeten Straßen nicht versperrt. Sie haben noch Zeit zu werden, wer sie später einmal sein wollen.“

Als Lissa, Cate und Hannah in der alten Villa im London Fields des Jahres 2004 leben, alle drei Ende zwanzig, ist die Welt noch wunderbar in Ordnung. Die Studien sind geschafft, Lissa muss zwar arbeiten, hofft aber auf herausfordernde Rollen als Schauspielerin. Jede der Frauen träumt von einem erfüllten Leben. Sechs Jahr später sieht alles bereits anders aus.

Anna Hope wechselt immer wieder die Perspektiven, mal erzählt sie von Hannah, die nun verheiratet mit Nathan einfach nicht schwanger werden will und eine Fehlgeburt durchlitten hat. Sie zeigt, wie Cate in Kent als junge Mutter völlig übermüdet sich durchschlägt. Und sie berichtet, wie Lissa endlich neben ihrem Callcenter-Job eine richtige Rolle in einem Stück nach Tausenden von Castings erhält.
In nicht chronologischen Rückblenden lernt der Leser die drei sehr unterschiedlichen Frauen kennen. Hannah und Cate kennen sich bereits aus Kindertagen, Lissa lernt Hannah an der Universität von Manchester kennen. Die ernsthafte, wie attraktive Hannah stammt aus einfachen Verhältnissen, Cates Mutter ist früh verstorben und Lissa wurde von ihrer Mutter Sarah, die einst Aktivistin war und als Malerin mäßig erfolgreich ist, allein großgezogen.
Schnell fühlt sich der Leser mit den drei Frauen und ihren unterschiedlichen Lebenswegen vertraut.
Er versteht, dass Cate durch die neue Umgebung, das neue Haus und die fremde Familie und natürlich die Mutterschaft mit einem oft schreienden Tom verunsichert ist. Sam, ihr Mann, träumt als Koch von einem eigenen Restaurant. Sein Bruder Mark, ein schrecklicher Angeber und seine schwatzhafte Frau Tamsin, so hofft, Sam, könnte ihn finanziell unterstützen. Und dann ist da noch Alice, die neue Schwiegermutter, die mit Putzmitteln vor der Tür steht und sich unbedingt um Tom kümmern will. Cate sehnt sich nach ihrer früheren Lebenspartnerin Lucy, die sich in Amerika wortlos von ihr getrennt hat.
Mal mehr mal weniger eng sind die Kontakte zwischen den drei Freundinnen, ab und zu machen sich auch kleine Eifersüchteleien zwischen ihnen breit. So betrachtet Cate in einer Szene Hannahs exquisite Unterwäsche, ihre stylische Wohnung und denkt, alle das möchte sie auch gern besitzen ohne zu ahnen, dass Hannah sofort ihr Kind nehmen würde. Hannah hatte durch Lissa Nathan kennengelernt. Sie sind das intellektuelle Traumpaar, Hannah hat die Wohnung mit all ihren ausgewählten Möbelstücken kuratiert und kann sich durch ihren Job edel kleiden. Alles könnte so perfekt sein, nur ein Kind fehlt. Hannah bemerkt nicht, dass sich Nathan durch jeden neuen Versuch, schwanger zu werden, von ihr entfernt. Er wird eines Tages Lissa über den Weg laufen und mit ihr im Bett landen. Ein Drama.

Nur noch Lissa lebt im Souterrain der alten Villa. Fast am Ende der Lebenswege zumindest in diesem Roman haben sich alle mit allen überworfen. Cate hat ihren Mann vor den Kopf gestoßen, indem sie angetrunken seine Familie beleidigt hat, Hannah und Tom sind getrennt und Lissa weiß, dass sie weder zu Hannah noch zu Cate wieder eine normale Beziehung haben wird. Und dann stirbt auch noch ihre Mutter an Krebs.

Aber, das Leben kennt seine ganz eigenen Wege, denn auch hier können Wunder geschehen und ein Blick ins Jahr 2018 sieht wiederum ganz anders aus.

Diesen Roman möchte man einfach nicht zu Ende lesen, denn kaum aufgeschlagen, ist man sofort mit seinen Hauptfiguren und ihren Freuden, Ängsten und Sorgen vertraut. Die vielen Details zu Büchern, Filmen oder spannenden Geschehnissen in London, die die englische Autorin Anna Hope aneinanderreiht, ohne das große Ganze aus den Augen zu verlieren, machen den Reiz der Geschichten aus. Freundschaften, die ein Leben lang halten, sind wahrscheinlich eher die Ausnahme.