Meg Rosoff: Was ich weiß von dir, Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit, S. Fischer Verlag, KJB, Frankfurt a.M. 2014, 271 Seiten, €14,99, 978-3-596-85625-1
„Und was Gil und mich betrifft? Wir suchen nach Matthew, finden aber ständig andere Dinge.“
Die zwölfjährige Mila ist die ziemlich reife Erzählerin dieser ungewöhnlichen Reise, die sie und ihren Vater Gil von London über New York bis an die kanadische Grenze führen wird. Eigentlich sollten die Osterferien ganz unbeschwert beginnen, aber dann ist der langjährige Freund von Gil, Matthew, verschwunden. Ihn und seine Familie wollten die beiden besuchen, denn Gil hat seinen Freund gut acht Jahre nicht mehr gesehen und vieles ist indessen passiert. Eines Morgens hat Matthew das Haus verlassen, ist in sein Auto gestiegen und nie wieder aufgetaucht. Gil ist in großer Sorge und beschließt, da die Reise lang geplant war und er Matthews Frau Suzanne und ihrem kleinen Sohn Gabriel helfen will, zu fliegen.
Mila, die sich als „ruhig, zuverlässig und nachdenklich“ charakterisiert, ist nun die genaue Beobachterin der Geschehnisse. Sie hat einen ungewöhnlich scharfen Blick für die Schwächen der Erwachsenen, die sich ihrer Meinung nach eigenartig und kompliziert verhalten. Gerade bei Suzanne hat Mila das Gefühl, dass sie nicht immer ehrlich ist. Oder steckt irgendetwas anderes dahinter, lügt sie für ihren Mann? Mila glaubt im Haus, die Abgrenzungen zwischen den dort wohnenden Erwachsenen zu erkennen. Und Suzanne telefoniert mit jemandem, der sie trotz der schwierigen Situation aufmuntert.
Mila wohnt im Zimmer von Owen, dem verstorbenen Jungen von Matthew und Suzanne. Nach und nach erfährt der Leser, dass der Junge mit zwölf Jahren bei einem Autounfall ums Leben kam. Matthew saß am Steuer als ein riesiger LKW ins Schleudern geriet und das Auto von hinten rammte. Da Owen auf der Rückbank saß und der geliebte weiße Schäferhund von Matthew, Honey, vorne, kann Suzanne den Hund nicht mehr ansehen.
Mila erinnert sich, wenn sie an zu Hause denkt, an ihre Freundin Calin, die sich seit einiger Zeit so ruppig und gleichgültig Mila gegenüber verhält. Calins Eltern streiten sich ununterbrochen und so hat sich über die Zeit sehr viel Aggressivität in dem Kind angestaut. Calin hängt plötzlich mit Jungs ab und alle Detektivspiele, die früher so wichtig für die Mädchen waren, sind vergessen.
Mila, Gil und Honey wollen den verschollenen Freund nun in seiner Holzhütte in der Nähe der kanadischen Grenze suchen. Groß sind die Hoffnungen, die jedoch schnell zerschlagen werden, denn im Haus lebt jetzt Matthews ehemalige Freundin Lynda mit ihrem Sohn Jake, der jetzt 15 Jahre alt ist. Auch Owen wäre jetzt im gleichen Alter. Mila sendet Matthew einfach so eine SMS nach der anderen. Und dann bekommt sie plötzlich eine Antwort: „Ich bin nirgends“. Aber Mila schweigt, um ihren Vater nicht zu beunruhigen. Das Mädchen ahnt ziemlich schnell, das Jake Matthews Sohn sein könnte. Doch weiß Suzanne von seiner Existenz?
Mila kennt viele Geschichten vom großartigen Matthew, der sogar ihrem Vater das Leben auf einer Bergtour gerettet hat. Aber ist er wirklich so fantastisch, wenn er sich ziemlich egoistisch nie wirklich, Jake ist sein Sohn, um ihn gekümmert hat und nur Geld schickt?
Mila gerät immer mehr in den Studel der verwickelten Erwachsenenprobleme hinein. „Ich möchte wieder ein Kind sein.“ Dieser Satz entweicht der Erzählerin als klar wird, dass Gil, der sich gar keine so richtigen Sorgen um Matthew macht, bekennen muss, dass er bereits über lange Zeit Kontakt zu seinem Freund hat.
Mila fühlt sich hintergangen, auch wenn sie selbst Geheimnisse hat, und vor allem kann sie ihrem Vater nun nicht mehr vertrauen. Warum zieht er sie in diese Vermisstengeschichte hinein, behandelt sie aber letztendlich wie eine Außenstehende?
Oder geht es, so wie bei Mila und Calin, auch bei Gil und Matthew um die Kräfteverhältnisse innerhalb ihrer Freundschaft? Als Gil und Mila Matthew treffen, will er eigentlich nicht als der Schwache, Zaudernde und Unentschlossene gesehen werden, als einer der seinem Leben ein Ende setzen würde, wenn er es könnte. Mila durchschaut diese inneren Kämpfe, kann sie aber nicht nachvollziehen. Und nach allem bleibt die Frage: Was hält eine Freundschaft aus?
Meg Rosoff wagt sich mit dieser Geschichte, die sich eindeutig um Erwachsenenkonflikte dreht, bei aller Stilsicherheit und einer Sprache von vordergründiger Einfachheit auf dünnes Eis, denn die einzelnen Personen kommen unter dem kritischen Blick Milas nicht gut weg. Kinder sind extrem belastbar, keine Frage, und Mila hat ja auch Gil als Ansprechpartner und Verbündeten an ihrer Seite und doch verliert die Autorin dann ab und zu die Perspektive des erzählenden Kindes. Milas Einschätzungen klingen für ein 12-jähriges Mädchen stellenweise zu abgehoben, einfach schon zu erwachsen:„Wenn ich mir Lynda ansehe, wird mir klar, dass alte Beziehungen in gewisser Weise nachglühen – es bleibt ihnen etwas wie ein flackernder Lichtschweif, auch nach der Trennung.“
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