Cay Rademacher: Verhängnisvolles Calès, Ein Provence-Krimi mit Capitaine Roger Blanc, DuMont Buchverlag, Köln 2019, 447 Seiten, €16,00, 978-38321-8366-0



„Nkoulou hatte ihm verboten, den Vater zu verhören.“

Die Höhlen von Calès bei Lamanon im südfranzösischen Département Bouches-du-Rhône sind von der Vorgeschichte bis ins 16. Jahrhundert besiedelte Höhlen. Der vom Menschen ausgehöhlte Fels diente als Zufluchtsort oder sogar als ganzjährige Behausung. Oder bei Cay Rademacher als Versteck für eine Leiche. Als die Archäologen ihre Arbeit Anfang Dezember in Calès fortsetzen, informieren sie die Polizei, denn ihr Fundstück, ein Skelett mit einem kreisrunden Loch im Stirnknochen und einer Zahnplombe, stammt aus einer nicht allzu fernen Zeit. Capitaine Roger Blanc und Sous-Lieutenant Fabienne Souillard nehmen ihre Ermittlungen auf und wissen bald, dass die Tote in einer Damenlederjacke in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ermordet wurde. Schnell ist ein ortskundiger Fachmann für Höhlen vor Ort, Roland Compagnat, der auch die Archäologen berät. In den Vordergrund jedoch schiebt sich ein anderer Fall. Ein neunjähriges Mädchen wird vermisst. Während einer Hochzeitsfeier weilte sie noch unter den Gästen im burgähnlichen Haus ihres Vaters, verkrachte sich mit ihrer Freundin und verschwand. Ausgerechnet Noëlle, also Weihnachten, heißt das Kind, dass nun alle Gendarmen voller Verzweiflung suchen werden.
Blanc erwartet zu Weihnachten doch mit Vorbehalten seine Tochter und muss feststellen, dass sein Kamin in desolatem Zustand ist. Voller Sorgen jedoch verfolgt er die Spur eines Hundezüchters, der ziemlich aggressiv auf die Fragen der Polizei reagierte. Indizien werden gesammelt und die übliche Ermittlungsarbeit nimmt ihren Lauf bis Blanc auf eine seltsame Parallele zwischen seinem Skelett aus den Höhlen und dem vermissten Mädchen erkennt. Noëlle ist die Enkelin der Toten, Yvonne Fabre, verheiratete Le Guennec, die nach dem Ende des 2. Weltkrieges als Geliebte eines Deutschen kahlköpfig durch die Straßen getrieben wurde. Ausgerechnet der Held des Widerstandes, Rémi Chapot, vor Ort hatte sie gedemütigt. Sie ging nach Paris, kehrte reich verheiratet zurück und rächte sich, indem sie dem Résistance-Helden das Haus nahm.
Noëlle verlor mit einem Jahr ihre Mutter Séverine durch einen Autounfall, der nie aufgeklärt wurde. Yvonne hatte vor der Ermordung eine Tochter, Séverine, geboren, ging spazieren und kam nie wieder zurück. Großmutter, Tochter und Enkelin – eine Familie, ein Geheimnis – das kann kein Zufall sein. Welcher perfide Plan steckt hinter dem Ausmerzen der drei Frauen?
Auffällig ist, dass der Vater des Mädchens wenig Anteil an der Suche nimmt, der Bruder und Onkel um so mehr. Nach Recherchen stellt sich auch heraus, Jean-Baptiste Samson nach dem Tod seiner Frau Séverine mit deren Lebensversicherung seine Firma vor dem Bankrott rettete.
Erst die Aussage der Freundin von Noëlle führt zu einem Durchbruch. Immer enger legt sie die Schlinge um den Hals des angeblichen Kindesvaters, der es in Wirklichkeit gar nicht ist. Was bringt der Tod eines neunjährigen Mädchens? Noëlles Vater hat längst ein Verhältnis mit seiner Sekretärin, die jetzt auch noch schwanger ist.
Weihnachten naht und noch findet die Polizei keine Spur von dem Mädchen. Unklar bleibt auch, wer die Leiche in den Höhlen versteckt hat. Aber Blanc weiß, er muss, auch für sich, diesen Fall vor dem 24. Dezember lösen.
Reich an Personal ist dieser unterhaltsame Krimi voller ungeahnter Wendungen, der zwischen Ermittlungen und auch privaten Freuden und Katastrophen pendelt und zeitlich einen weiten Bogen zwischen den Fällen spannt und nicht eine Sekunde langweilt.

Cay Rademachers fiktive Figuren sind immer reale Menschen, die einfach so handeln, wie sie es auch wirklich müssen. Nichts scheint konstruiert oder überflüssig.