Ulf Kvensler: Die Insel, Einer kennt die ganze Wahrheit, Aus dem Schwedischen von Sabine Thiele, Penguin Verlag, München 2025, 400 Seiten, €17,00, 978-3-328-11088-0
„Und ich erzählte ihr vom meinem Vater, der den Brand für seine Kunst nutzte und große schreckliche Bilder davon malte. Wie das im Restaurant, nur noch größer, noch brutaler, noch schrecklicher, noch schöner. Damit hatte er seinen Durchbruch als Künstler, so wurde er bekannt. Mit meinem Trauma machte mein Vater ein Vermögen.“
Als Isak sechs Jahre alt war, verlor er durch einen Brand seine Mutter und seine kleine Schwester. Aufgezogen wurde er von seinen Großeltern mütterlicherseits, die wenig von seinem angeblich psychisch labilen Vater hielten. Allerdings sucht Isaks Vater nach dem furchtbaren Verlust auch nie den Kontakt zum eigenen Kind und so adoptierten die Großeltern Isak. Heute arbeitet Isak als Altenpfleger für einen häuslichen Pflegedienst in Småland und lebt mit seiner Freundin Madde in einer kleinen Mietwohnung. Immer wieder wundert sich Isak, dass Madde an seiner Seite ist. Sie stammt aus einem reichen Elternhaus, wurde aber wohl von ihrer Mutter, zu der sie ein äußerst schlechtes Verhältnis hatte, mittellos vor die Tür gesetzt. Als dann nach Jahren des Schweigens plötzlich Isaks Vater mit ihm sprechen will, sucht der verunsicherte Siebenundzwanzigjährige den Rat bei seinem bodenständigen Großvater.
Der schwedische Autor Ulf Kvensler erzählt die Handlung seines Romans in Rückblenden, aber auch auf zwei Zeitebenen. Zum einen erinnert sich Isak an seine schwierige Kindheit und die Lesenden erfahren, wie es ihm und seiner Freundin Madde beim extrem reichen Künstlervater auf Gotland ergeht. Als Ich – Erzähler berichtet Isak zum anderen von seiner Zeit in der Untersuchungshaft. Was ihm jedoch nach dem abrupten Ende seines Aufenthaltes auf Gotland vorgeworfen wird, bleibt im Unklaren.
Auf Fårö an der Nordspitze Gotlands wohnt Isaks Vater in einer imposanten Villa. Isak hat sich überreden lassen, den Türkei-Urlaub gegen den bei seinem Vater, der durch einen diagnostizierten Hirntumor bald sterben wird, einzutauschen. Als Isak mit seinem klapprigen Auto beim charismatischen Vater ankommt und neben zwei teuren Sportwagen parkt, spürt er immer mehr die Wut auf den Mann, der als Künstler in London arbeitet und reich geworden ist und für den er, nie wichtig war.
In verschiedenen Szenen spielt Ulf Kvensler nun durch, wie der manipulative wie willensstarke Vater seinen Sohn und dessen Freundin mit seinem unberechenbaren Wesen und dem möglicherweise ausstehenden Millionen – Erbe ( Da Isak adoptiert wurde, ist er nicht automatisch erbberechtigt. ) unter Druck setzt. Drogen, aber auch Champagner, teure Restaurantbesuche und die Aussicht auf ein sorgenfreies Dasein spielen eine Rolle, wenn der amoralischer Vater, für den Gut und Böse nichts bedeuten, Mutproben vom Sohn einfordert. Angeblich will er so den verweichlichten Isak vom Einfluss des Großvaters lösen und ihm die Freiheit ermöglichen, die er zum wirklichen Leben benötigt. Stemmt sich Isak mit Zustimmung von Madde zu Beginn gegen die Forderungen des Vaters und droht mit der Abreise, so lässt er sich doch zunehmend mehr auf ihn ein. Isak fühlt sich gefangen in der Zwickmühle zwischen den schmerzlichen Kränkungen durch den Vater einerseits und der Aussicht auf ein finanziell unabhängiges Leben abseits der Altenpflege andererseits. Getriggert von Gegenständen in der Villa quälen Isak aber auch erinnerte Szenen aus seiner Kindheit an den lieblosen Vater und Machtmenschen und der Erkenntnis, dass der traumatische Brand vielleicht kein tragisches Unglück war.
Wie jeder gute Thriller endet auch dieser, nachdem es zu einem Eklat zwischen Isak, Madde, dem Vater und dem angereisten Großvater kommt, mit einem unheilvollen Geschehnis, dass Isak ins Gefängnis bringt und die gesamte Figurenkonstellation gnadenlos über den Haufen wirft, denn hinter den Hauptfiguren verbirgt sich einiges, was die Lesenden möglicherweise ahnen.
Trauer, Tod, Traumata, unsagbarer Reichtum oder ein Dasein im ständigen Dispo – alle dies vermischt Ulf Kvensler in einer doch sehr konstruierten, doch spannenden, wie temporeichen Handlung, angereichert durch die imposante Landschaft Fårös und dem Traum von einem menschenleeren Strand trotz kaltem Meerwasser.