Manuela Reichart ( Hsg.): Taschenliebe – Ein literarisches Lesebuch, btb, München 2017, 219 Seiten, €13,99, 978-3-442-75704-6
„Meine Tasche ist mein Häuschen, mein Lebensutensil, mein Ein und Alles.“
Das schreibt die Schweizer Autorin Ilma Rakusa und erzählt von ihrer schwarzen Rucksacktasche von Christa de Carouge, die sie immer wieder neu kauft, wenn das alte Modell zu schäbig aussieht oder der Reißverschluss kaputt geht. Und so steht sie auf einem Friedhof in Salzburg und bemerkt kaum, wie ihr gutes Stück, das sie auf dem Rücken trägt, von einer Diebesbande geleert wird.
Dabei findet sie ihre eigenen Sachen in den umliegenden Mülltonnen wieder. Und doch, mit dem Diebstahl schleicht sich auch eine leichte Unsicherheit ein, wenn sie an ihre Tasche denkt. Sollte sie eine neue kaufen, hatte sie selbst vergessen, die Tasche richtig zuzumachen? Aber dann ereignet sich die wahre Katastrophe, die endgültige Schließung des Taschenladens.
Zwanzig Autorinnen von Sabine Bergk bis Keto von Waberer und ein Autor, Mirko Bonné, umkreisen das Thema: eine Frau und ihre Tasche, z.B. die berühmte Kelly Bag, einst von Grace Kelly in der Öffentlichkeit bekannt gemacht. So erzählt Manuela reichert von Sophie, in deren Leben äußerlich alles in Ordnung ist, in ihrer Tasche und in ihrer Seele jedoch Chaos herrscht. Mit dem taxierenden Blick der Großmutter, die ihre beiden Töchter, die so gar nicht modebewusst sind, aufgegeben hat, betrachtet der Leser ihre Enkelin Sophie. Ihr Interesse an der Kelly Bag aus dem Jahr 1959 gibt der Großmutter wieder Kraft, sie die sich trotz Seniorenheim immer noch stilsicher kleidet, hofft auf mehr Interesse an den wirklich wichtigen Dingen im Leben einer Frau. Aber die Welt hat sich verändert, Frauen legen vordergründig keinen Wert mehr auf extraordinäre Accessoires, sie müssen ihr Leben meistern, sich ihren Platz erobern und das meistens mit vollgestopften Handtaschen. Und heute kauft sich kein Mann mehr mit teuren Handtaschen frei, da folgen ganz andere Konsequenzen.
Wer keine Kelly Bag hat, der bastelt sich wie in Tanja Dückers Geschichte eine Candy Bag. Als sich die Ich-Erzählerin eine currygelbe, omahafte Tasche kauft, hübscht sie diese mit Bonbons in farbigen Papieren eingewickelt auf, die auf allen möglichen Märkten in Barcelona angeboten werden. Passend zur quietschbunten Kleidung in den 1970er Jahren folgen nun der Erzählerin und ihrer Tasche Kinder oder Hunde. Problematisch wird es nur, wenn die angeklebten Schokoladenbonbons dem heißen Wetter der Region ausgesetzt sind.
„Klimatisch hätte ich meine Tasche besser überdenken sollen, sie war wohl eher für nordeuropäische Gefilde gedacht.“
Taschen, Taschen, Taschen – nur Kriminalkommissarinnen in Fernsehfilmen tragen keine Taschen. Schwerer Regiefehler, denn jede Frau fragt sich unwillkürlich, wo sind all die wichtigen Dinge, die man im Laufe eines Tages benötigt.
In Lucy Frickes Geschichte fährt ihre Tasche ohne sie nach Düsseldorf und das nur, weil die Autorin auf dem Weg zu ihrer Lesung in Hamm / Westfalen eine entspannte Zigarettenpause außerhalb des Zuges macht. Plötzlich schließen sich ohne Vorwarnung die Türen und die Tasche ist allein. Was dann folgt ist ein Hohelied auf die Deutsche Bahn und ihr umsichtiges Personal und auch das muss mal sein. Es sollten nicht immer nur schlechte Nachrichten verbreitet werden.
Weitere Geschichten erzählen von Männern als Taschenfetischisten, von der Handtasche als Mikrokosmos und der Handtasche als Geheimnis. Und wenn dieser folgende Satz stimmen sollte, dann ist die Welt doch in Ordnung:
„Zeig mir deine Tasche, und ich sage dir, wer du bist.“
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