Håkan Nesser: Schach unter dem Vulkan, Aus dem Schwedischen von Paul Berf, btb Verlag in der Penguin Randomhouse Verlagsgruppe, München 2021, 428 Seiten, €22,00, 978-3-442-75936-1
„Bei der Analyse hakte es dagegen gewaltig. Eine junge dänische Schriftstellerin nahm im November 2016 an einem Literaturfestival in Kopenhagen teil. Zwei Monate später nahm sie sich das Leben. Ein Trio aus schwedischen Literaten, das bei der gleichen Veranstaltung gewesen war, verschwand drei Jahre später spurlos, der Letzte erst im April 2020.“
Alles beginnt im Oktober 2019 mit einem Wechsel zwischen Dichtung und Wirklichkeit, denn der bekannte schwedische Autor Håkan Nesser widmet sich in seinem neuen Buch der Verlagswelt und ihren Schriftstellern. Noch hat die Pandemie die Welt nicht erschüttert. Wenn der Fall 2020 geklärt sein wird, dann reden alle nur noch von Homeoffice, Toten und leeren Straßen.
Der Autor Franz J. Lunde sitzt irgendwo in Mittelschweden und feilt an einer Erzählung oder auch einem Kurzroman „Letzte Tage und Tod eines Schriftstellers“, die er bis Weihnachten abgeben muss. Eine bestimmte Angst, nicht die vor dem weißen Blatt Papier, quält ihn. Lunde schreibt über seinen Alter Ego, einen arroganten Autor, der in den Fragerunden nach seinen Lesungen bedroht wird. Eine Frau oder ein Mann, das ist nicht ganz klar, beschuldigt ihn eines begangenen Mordes, den er in seiner Literatur selbst beschrieben hat. Und dann ist Lunde aus Kymlinge verschwunden. Gefunden wird nur sein ausgebranntes Auto.
Gunnar Barbarotti, der nun bald sechzig wird, nimmt die Ermittlungen auf, befragt die desinteressierte Schwester, die Lektorin des Autors, liest sein Manuskript und kommt nicht voran. Barbarottis Lebensgefährtin Eva hält sich in Sydney auf, denn ihr Sohn Kalle steckt in Schwierigkeiten. Barbarotti versucht sogar einen Roman des doch ziemlich bekannten Lundes zu lesen, um vielleicht mehr über ihn zu erfahren.
Die nicht ganz so erfolgreiche Dichterin Maria Green kommt zu Wort. Auch sie fühlt sich verfolgt, zumindest erzählt sie ihrer Freundin davon. Nach einer Lesung sagt jemand zu ihr:
„Es gibt viel zu viele Dichter in diesem Land. Sie sind ein überflüssiger Mensch und haben noch dazu einen anderen Menschen auf dem Gewissen.“
Auch sie wird spurlos verschwinden, aber ein Notizbuch mit Aufzeichnungen hinterlassen. Wurden beide entführt? Doch warum meldet sich keiner der Entführer?
Håkan Nesser lässt die Geschichte um die Autoren, die wie vom Erdboden verschluckt werden, ziemlich langsam anlaufen und die Suche nach dem Motiv schleppt sich ebenfalls dahin. Unsympathisch sind die schreibenden Künstler, selbstverliebt und egozentrisch. Auch der verhasste Literaturkritiker Jack Walde, angestellt bei einer Stockholmer Zeitschrift, genießt seine Macht über andere Autoren. Hoch im Elfenbeinturm sitzend ist er sich allerdings nicht zu schade, unter Pseudonym triviale Krimis zu schreiben, die ihm finanziell großen Spielraum lassen. In der panischen Angst irgendjemand könnte von dieser lukrativen Tätigkeit Wind bekommen, trifft er sich mit seinem Lektor, der gleiche übrigens wie auch von Lunde, in verschwiegenen Restaurants. Auch Walde wird bedroht. Auch ihm wird ein Mord unterstellt. Dass diese ganze Geschichte mit dem Selbstmord der jungen dänischen Autorin Trine Bang, die ihren Debütroman veröffentlicht hatte, ahnt der Leser und die Leserin.
Håkan Nesser flüchtet sich in diesem Roman immer wieder in Nebenschauplätze und Andeutungen, auch Kurt Wallander darf nicht fehlen, entwirft Romananfänge, sinniert über den perfekten Mord, der Lukrativität von Krimis für Autoren, männliche Allmachtsfantasien und Schreibblockaden, schildert die Auswirkungen der Corona – Epidemie und stochert in Barbarottis Privatleben herum. Natürlich will man nach gut 400 Seiten dann endlich wissen, was nun mit den drei Schriftstellern passiert ist. Die Auflösung des Falles jedoch lässt auch wieder Fragen nach dem Motiv offen.
Und doch, Håkan Nesser bietet Spannung und literarische Qualität, immer ein bisschen mit kritischem Blick auf den ihm doch so vertrauten Verlagsbetrieb.