Sarah Easter Collins: So ist das nie passiert, Aus dem Englischen von Carola Fischer, Beate Brammertz, Ute Brammertz, Heyne Verlag, München 2024, 400 Seiten, €22,00, 978-3-453-27451-8
„ Ich hatte die Wahl: weiterzugehen oder aber nach Hause. Weiter bedeutete die ganze Welt, unbekannt und äußerst beängstigend; zu Hause war Himmel und Hölle zugleich.“
Als Robyn und ihre Ehefrau Cat zu einem gemeinsamen Essen mit Freunden und Geschwistern in ihre Londoner Wohnung einladen, ahnen sie nicht, wie überraschend dieser Abend enden wird. Unter den Gästen ist auch die achtundreißigjährige Willa, die einst mit Robyn liiert war. Beide Frauen hatten sich nach der Schule zwar aus den Augen verloren, konnten später aber wieder ihre Freundschaft erneuern. Alle wissen, dass Willas Schwester Laika mit dreizehn Jahren plötzlich verschwunden ist. Wurde sie entführt, immerhin unterhält Laikas Vater ein gutgehendes Transportunternehmen, oder wurde sie gar ermordet? Die Polizei konnte nie herausfinden, was mit dem jungen Mädchen geschehen ist. Ein Alptraum für die Familie, denkt man. Willa hat sogar eine Suchaktion per Internet gestartet, um Laika aufzuspüren, denn sie ist davon überzeugt, dass ihre Schwester lebt. Immer wieder bittet Willa, nicht zur Freude Cats, dass Robyn ihr bei der Suche nach der Schwester hilft. Doch dann gründen Cat und Robyn eine Familie, bekommen Kinder und es scheint etwas ruhiger auch um Willa zu werden. Immerhin hat sie neuerdings einen Freund, Jamie.
Aus drei Perspektiven im Präsens erzählt Sarah Easter Collins von den Geschehnissen an diesem bedeutenden Abend, lässt aber auch ihre Protagonistinnen Robyn, Willa und Claudette mit ihren Gedanken in die Vergangenheit abschweifen. Und so entsteht langsam ein Bild von Laikas Elternhaus, in dem der Vater der absolute Herrscher ist und wer sich seinen Worten widersetzt, hat kein gutes Leben. Laika, drei Jahre jünger als ihre Schwester, lehnt sich immer wieder gegen den despotischen Vater auf. Sie bezieht, wie auch die Mutter heftige Prügel und lässt sich aber kaum von ihrem Vater brechen. Die stille, zielstrebige Willa hingegen hat der Vater nie angerührt. Auch wenn die Mutter, die dem Alkohol sehr zuspricht, immer wieder versucht, die Töchter vor den Launen des Vaters zu schützen, spielt sich am Vorabend vor Laikas Verschwinden eine brutale Szene zwischen Vater und Tochter ab. Um sein Kind zu demütigen, schneidet er ihr die Haare ab und sperrt sie ein. Am kommenden Morgen gehen die Mädchen nicht gemeinsam in die Schule. Laika wird das Grundstück allein verlassen und nie zurückkehren.
Beim Abendessen der Freunde und Familie bringt Nate seine neue französische Freundin Claudette mit. Liv, die Freundin von Michael, Robyns Bruder, versucht den Gästen zu verdeutlichen, wie unzuverlässig Erinnerungen sind. Und so erzählen die Anwesenden von ihrer ersten Kindheitserinnerung. Kriselt es schon lang zwischen Willa und ihrem doch ziemlich arroganten Freund Jamie, der der beste Busenfreund von Willas Vater geworden ist, so geraten plötzlich Claudette und Jamie aneinander. Kurz vorher behauptete Willa, wie so oft, wenn sie eine Frau in Laikas Alter sieht, dass Claudette Laika sein könnte. Jamie erklärt sie für verrückt. Doch dann äußert sich Jamie extrem rassistisch und Claudette flippt völlig aus und enttarnt sich durch eine Bemerkung zu Willas Kindheitserinnerung als ihre jüngere Schwester. Ein lauter Paukenschlag!
Wie Sarah Easter Collins dann Laikas Lebensweg schildert, ist schon bemerkenswert. Da sich natürlich jeder Lesende fragt, wie kann ein dreizehnjähriges Mädchen so völlig vom Erdboden verschwinden. Dass Laikas Vater keine unbedeutende Rolle beim Schicksal seiner jüngsten Tochter spielt, sei noch verraten.
Spannend, kaum vorhersehbar und mit dramatischem Erzählbogen überzeugt die Handlung dieses Debüts auf jeden Fall!