Sadie Jones: Aufs Land, Aus dem Englischen von Katrin Segerer, Penguin Verlag, 320 Seiten, €22,00, 978-3-328-60330-6
„Alle Tiere auf unserem Hof haben Persönlichkeiten, von den Hunden bis zu den Zwerghühnern, aber die Schweine sind auch schlau. Das sieht man an ihren Augen. Die Erwachsenen haben ewig nach dem besten und schönsten Schlachthof gesucht. Wir haben gefragt:‘ Warum interessiert euch das überhaupt, wenn ihr sie eh umbringt?‘, und es gab Streit.“
Von 1998 bis 2010 wird das Experiment andauern und dann für zwei Familien kläglich scheitern. Doch für Amy Connell und Lachlan Honey ist es das Leben auf dem renovierten Bauernhof kein Experiment, es ist die Zeit ihrer glücklichen Kindheit. Beide beginnen 2005 jeweils aus eigener Sicht von ihrem Leben auf dem Hof zu erzählen, da sind sie sieben Jahre alt. Zwar sind sie nicht am gleichen Tag geboren, aber sie feiern gemeinsam zur Sommersonnenwende. Als ihre Familien und noch einige Mitstreiter keine Lust mehr aufs Stadtleben hatten, sollte nun ein traditioneller Nutztierhof mit Bauernhaus und modernen Nebengebäuden ihr Domizil werden. Sogar die Idee der Selbstversorgung kam ins Spiel, und nach und nach hörten einige Kinder auch auf Fleisch zu essen. Familie Hodge mit den Kindern Bill und Lulu, die Amy und Lan so gar nicht mögen, zogen ein, dann noch Finbar und Em und die Familie von Amy und Familie von Len. Beiden haben Brüder und Schwestern. Sie behalten den alten Namen des Hofes „Frith“, Zuflucht bei. Alle Erwachsenen gehen neben dem Bewirtschaften des Hofes, sie haben Ziegen, ein Kälbchen, Federvieh, Katzen und Hunde noch normalen Brotberufen nach. Lans Vater Jim ist Anwalt und Schreiner, Amys Vater ist Schauspieler, aber leider kaum gefragt. Er wird später einen Blog über das Leben auf dem Hof ins Netz stellen und für die Zeitschrift „Herefordshire Life“ eine Kolumne schreiben. Amys Mutter Harriet gibt Klavierunterricht und Gail, Lans Mutter fällt eher durch ihre Exaltiertheit auf als durch ihre Mütterlichkeit. Wenn Amy und Lan von ihren Tage auf dem Hof in ihren Gedankenströmen berichten, dann sehen sie die Erwachsenen mit viel Distanz. Sie registrieren, dass es Streit ums Geld gibt und bemerken schon, dass für sie die Romantik des Landlebens recht schnell schwindet. Denn natürlich wollen sie die Tiere, die sie großziehen auch essen, allerdings nicht selbst schlachten.
Gleich zu Beginn entwirft Sadie Jones eine kurzen Szene, die zwar die Freiheit der Kinder, in allem was sie tun, unterstreicht, aber auch Gefahr drohen kann. So schwingt Len eine Axt durch die Gegend und hätte beinahe Amys Bein getroffen. Alles, was die beiden Kinder erzählen, bezieht sich nur auf das Hofleben. Amys Bruder Josh bringt dann allerdings seine beiden Lämmer Rose und Lily mit in die Schule, was die Lehrer nicht so witzig finden. Es geht bei allen Geschichten der Kinder um Auseinandersetzungen mit den Geschwistern, den Kindern auf dem Hof, die enge Freundschaft von Amy und Len und das gemeinsame Leben der Leute auf dem Bauernhof. Als Amy zu ihrem zehnten Geburtstag ein Teleskop geschenkt bekommt, ahnt sie nicht, dass sie und Len durch die Linse etwas beobachten werden, was ihr künftiges Leben verändern wird. Eigentlich wollten die Erwachsenen beim traditionellen Bauernhof bleiben, aber die Geldnot zwingt sie doch eine Ferienwohnung in einem kleinen Gebäude herzurichten. Lässt man Len und Amy. die gern viel zusammen über die anderen und sich lachen, in der Schule in Ruhe, so spüren die Kinder doch mit den Feriengästen, wie ihre Lebensform von den Stadtmenschen skeptisch beäugt wird. Die Erholung von der Finanzkrise und der Hektik Londons endet bei den ersten Gästen in einem Desaster. Als die Kinder ganz harmlos mit dem Ferienkind Toby, der eigentlich lieber mit seinem Nintendo im Zimmer bleiben will, ein Versteckspiel spielen wollen, stürzt dieser im Heuschober in ein Loch und bricht sich den Arm. Da kaum WLAN Empfang auf dem Hof ist, sind größere Kinder schnell gelangweilt, wenn sie mit den Eltern Landluft schnuppern sollen. Sie zeigen Lan und Amy eher, wenn sie mal ein paar Balken haben, Pornos auf ihren iPhones.
Doch dann sehen Lan und Amy durch ihr Teleskop, wie Amys Vater Adam und Lens Mutter Gail sich gemeinsam vom Hof entfernen. Noch denken die beiden sich nichts dabei, zumal die Erwachsenendinge sie kaum interessieren. Aber als Amys Mutter Harriet mit ihr sprechen will und auch Len eingeweiht wird, ist klar, das vermeintliche Paradies wird durch das Verhalten der Erwachsenen Amy und Len für immer trennen.
„Danach bin ich überrascht, dass ich überhaupt noch aufstehen und laufen kann. Sie haben mich in winzige Stücke zerschlagen. Das spüre ich.“
Feinfühlig und mit dem genauen Beobachterblick von Kindern, die so ganz andere Dinge sehen als Erwachsene, beschreibt die englische Autorin Sadie Jones das Leben von Städtern auf dem Land. Glücklich werden sie kaum, denn alle Erwachsenen hadern auf die eine oder andere Weise mit dem Wohnungswechsel, dem Geldmangel, den praktischen Fähigkeiten, die sie nicht haben oder der Einsamkeit gerade im Winter. Die trockenen und dadurch auch witzigen Beschreibungen von Amy und Len sind unverblümt und direkt, immer in der Gegenwart angesiedelt und dadurch so authentisch.