Ruth Ware: The Woman in Cabin 10, Aus dem Englischen von Stefanie Ochel, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2025, 383 Seiten, €13,00, 978-3-423-21777-4

„Ich lehnte mich über die Reling, wie ich es in der Nacht zuvor getan hatte, und rief mir die Ereignisse noch einmal ins Gedächtnis – die Verandatür, die leise schabend aufgeschoben wurde, das Platschen, das die Stille durchbrach, das verschmierte Blut auf der Scheibe – um mit einem Mal war ich mir absolut und unumstößlich sicher, dass ich es mir nicht eingebildet hatte. Nichts von alldem. Nicht die Wimperntusche. Nicht das Blut. Nicht das Gesicht der Frau in Kabine 10.“

Sicher war es schon immer Lo Blacklocks Traum, als Reisejournalistin auf einer Jungfernfahrt eines Luxuskreuzfahrtschiffes kostenfrei mitzufahren. Und nun hat sie endlich die Gelegenheit, denn ihre Chefin Rowan vom Reisemagazin „Velocity“ ist schwanger. Zehn Jahre arbeitet Lo jetzt bei dem Printmedium und weiß, dies ist ihre Chance die Karriereleiter endlich hochzusteigen. Und dieses Schiff, die „Aurora Borealis“, ist einfach nur Luxus pur. Es beherbergt zehn großräumige Kabinen und bietet den Passagieren allen Komfort, den nun mal reiche Menschen erwarten. Der Inhaber des Schiffes ist Richard Bullmer, dessen Karriere sicher sein Verdienst ist, allerdings wäre er nie ohne das Geld seiner norwegischen Frau Anne so weit gekommen. Vom Krebs gezeichnet ist Anne Bullmer, was alle erstaunt, bei dieser Tour an seiner Seite, denn auch Investoren sind an Bord. Gemeinsam mit weiteren Kollegen der Medienzunft, ob nun von der „Times“, ausgerechnet ihr ehemaliger Freund Ben Howard, oder von „The New Verne“, die arrogante, wie ehrgeizige Tina West, tritt Lo nun ebenfalls die Reise an. Allerdings ist sie nervlich ziemlich angeschlagen, denn kurz vorm Onboarding in Hull wurde sie in ihrer Wohnung überfallen, ihr Freund Judah hat ein Arbeitsangebot in New York und irgendwie ist sie ziemlich wütend abgefahren, denn Judah erwartet eine Entscheidung von ihr, dass sie endlich zusammen ziehen. Hinzu kommt, dass Lo unter Panikattacken leidet, auf dem Schiff vom ersten Moment an wirklich sehr viel Alkohol getrunken wird und ihr Schlafentzug sie äußerst nervös erscheinen lässt. Als sie dann für ihren ersten Abend, sie wohnt in Kabine 9, die größer ist als ihre Wohnung, Wimperntusche benötigt, klopft sie bei Kabine 10 an. Eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren und etwas genervt öffnet und gibt Lo ihre Wimperntusche, die sie behalten darf. In der Nacht nach einem exquisiten Essen mit reichlich Alkohol hört Lo verdächtige Geräusche, aus denen sie schließt, dass eine Person aus der Nebenkabine ins Wasser geworfen wird. Mit allen Mitteln versucht Lo nun, den Sicherheitschef von ihrer Beobachtung zu überzeugen. Unter all den weiblichen Passagieren wie Crewmitgliedern ist diese Frau nicht zu finden und es spricht sich herum, und davon erzählt auch noch Lo’s Ex, dass sie Antidepressiva einnimmt. Hoffte Lo, dass wenigstens Ben ihr glauben würde, so war dies ein Irrtum. Doch immer wieder wird Lo vermittelt, dass sie endlich aufhören soll, nach dieser Frau zu suchen. Da auf dem Schiff das WLAN nicht funktioniert, kann Lo auch keinen Kontakt zur Polizei aufnehmen. Die ganze Sache wird immer verzwickter und Lo ahnt, dass ihre Karriere mit dieser Reise zu den Nordlichtern eher dem Ende entgegen geht. Denn auch Lo traut zeitweilig ihren eigenen Beobachtungsgabe nicht mehr und macht sich durch die Suche nach dieser ominösen Frau nur Feinde bei der Mannschaft.
Doch dann kurz vor Trondheim erzählt Lo endlich alles Richard Bullmer, der ihr erstaunlich aufmerksam und voller Empathie zuhört und ihre Idee, in Trondheim sofort zur Polizei zu gehen, befürwortet. Trotz aller Angst ist sich Lo sicher, dass sie alles richtig macht. Als es dann an ihrer Tür klopft und sie durch den Spion die junge Frau mit den langen schwarzen Haaren offenbar unversehrt sieht, nimmt die Spannung in dieser Kriminalgeschichte so richtig Fahrt auf.

Ruth Ware knüpft geschickt an bekannte Kriminalliteratur an, in deren Handlung sich alle Beteiligten in einem begrenzten Raum, in diesem Fall einem mittelgroßen Luxusschiff, befinden. Wie bei Agatha Christie muss der vermeintliche Mörder oder Mörderin unter den Passagieren sein und wie so oft, glaubt niemand der Person, die die Wahrheit sagt und dabei selbst instabil ist und auch widersprüchlich handelt. Und doch hat Lo in diesem Fall durchaus recht, etwas Schreckliches ist auf dem Schiff geschehen.

Ob die Netflix-Serie „The Woman in Cabin 10“ die Spannung so fantastisch aufbauen kann, wie die psychologisch wie packende Handlung von Ruth Ware bleibt bis zum Sendebeginn im Oktober 2025 offen.