Ragnar Jónasson: Wintersturm, Aus dem Isländischen von Anika Wolff, btb Verlag, München 2024, 288 Seiten, €17,00, 978-3-442-75955-2

„Fast konnte man den Eindruck haben, Krístin wolle das Familienleben ausprobieren, spiele mit dem Gedanken, es noch einmal zu versuchen, doch gleichzeitig hatte sie etwas Distanziertes, das schwer zu greifen war. Er kannte sie einfach zu gut.“

Es ist Ostern ganz im Norden Island und ein enormer Wintersturm zieht auf. Polizeikommissar Ari Arason ist nun der leitende Polizeikommissar in Siglufjörður. Gleichzeitig ist er derjenige, der eben nicht aus der Gegend stammt und alle Leute, die alle irgendwie untereinander um tausend Ecken verwandt sind, kennt. Auch sein neuer Mitarbeiter Ögmundur, der alles etwas zu leicht nimmt, ist ein Außenseiter. Da bisher nicht viel los war, erhofft sich Ari geruhsame Ostertage, denn seine Ex-Freundin aus Schweden wird ihn mit seinem nun mittlerweile dreijährigen Sohn besuchen. Krístin stammt aus Siglufjörður und hat für ihre Facharztausbildung das Land verlassen. Alles soll möglichst harmonisch ablaufen. Doch dann wird Ari mitten in der Nacht aus dem Bett geholt, denn eine Leiche liegt auf der Straße. Die neunzehnjährige Unnur Svavarsdóttir hat sich offenbar von der Dachterrasse eines Hauses gestürzt. War es Selbstmord, ein Unfall oder doch Mord? Zwei Familien wohnen im Haus und das verunsicherte alte Paar Jóhann und Jónina geben zu, dass sie völlig ahnungslos für die Frau die Tür geöffnet hätten. Natürlich betonen sie, dass früher niemand seine Tür abgeschlossen hat. Der zweite Mieter im Haus, der Historiker Bjarki, ist nicht zu Hause.
Ari erkennt, dass er auch an den Ostertagen arbeiten muss und wieder ist er mit dem gleichen Problem konfrontiert, dass er immer mit Krístin hatte. Die Arbeit steht dem normalen Privatleben im Weg. Schwierig gestalten sich auch die Recherchen rund um das Leben der jungen, völlig unbescholtenen Frau. Unauffällig hat sie fleißig gearbeitet, nahm keine Drogen und trank wenig Alkohol. Doch warum hat sie sich ausgerechnet, nichts deutet auf Fremdeinwirkungen hin, von diesem Haus gestürzt. Ari hadert nun nicht nur mit dem erneut einsetzenden Winter, er findet kein Motiv und auch keinen Abschiedsbrief. Doch dann schreibt ein seniler Mann einen Satz im Altenheim an die Wand und behauptet, dass „sie“ ermordet wurde. Bei
Salvör, der Mutter der Toten, wird eingebrochen, aber nichts Wichtiges wird gestohlen. Was hat der Einbrecher gesucht? Salvör hatte ihre Tochter allein großgezogen und behauptet nun, dass sie alles über sie weiß. Daran zweifelt Ari. Als dann Unnurs Vater aus den USA anreist, wird Ari von diesem enorm unter Druck gesetzt. Allerdings meldet sich dann Jénniy, eine Mitschülerin von Unnur, die sehr verunsichert Details aus dem Leben des Historikers Bjarki erzählt, der als Vertretungslehrer an ihrer Schule arbeitet. Ganz langsam setzt sich ein Bild vom Seelenleben der jungen Frau zusammen und zugleich wird der gestresste Ari einen zweiten Mordfall lösen und eine alte Liebe wieder auffrischen, nachdem seine Ex-Freundin mit Sohn wegen des Sturms das Land verlassen hat.

Sehr ruhig und gelassen geht Ari diesen ersten für ihn doch sehr ernsten Fall an, dabei hat er es mit schwierigen, wie aggressiven Männern zu tun, die seine Urteilsfähigkeit und Kompetenz anzweifeln.
Unspektakulär geschriebene tragische Geschichte über ein scheinbar friedliches Dasein auch in der digitalen Welt, die Leben zerstört.