Oliver Pötzsch: Der Totengräber und die Pratermorde . Ein neuer Fall für Leopold von Herzfeldt, Ullstein Verlag, Berlin 2025, 544 Seiten, €17,99, 978-3-86493-225-0

„Die zersägte Jungfrau und die Prater-Morde … Zwei Fälle waren es, die miteinander durch ein Gift verbunden waren. Durch Scopolamin, einem wahren Hexentrank, gewonnen aus so gefährlichen Zutaten wie Alraune, Stechapfel oder Bilsenkraut. Das konnte doch kein Zufall sein? Aber was hatten die zersägte Zauberassistentin, ein vergifteter Assistent und vier tote Frauen im Prater miteinander zu tun? Hinzu kam jetzt noch eine weitere Zauberkünstlerin, die erwürgt worden war. Weil sie etwas gewusst hatte?“

Keine Frage, die Wiener Polizeidirektion mit dem erfolgsverwöhnten Leopold von Herzfeldt und dem eher faulen Oberinspektor und Judenhasser Paul Leinkirchner hat auch am Ende des 19. Jahrhunderts viel zu tun, zumal sich auch noch der deutsche Kaiser zum Blumenfest angesagt hat. Mit von der Partie ist natürlich auch der Totengräber Augustin Rothmayer, der an einem Buch über Insekten, aber auch Würmer und alles mögliche Getier schreibt, das sich so in Leichen in verschiedenen Stadien tummelt. Nur Julia Wolf, die Polizeifotografin und ehemalige Freundin von Leo, gehört nicht mehr zum Ermittlungsteam. Sie hat nun einen lukrativeren Job beim Neuen Wiener Journal ergattert, bei dem sie auch journalistisch arbeiten kann. Und natürlich laufen sich Leo und Julia immer wieder über den Weg, denn beider Liebesgeschichte ist noch nicht zu Ende. Allerdings hat sich die alleinerziehende Mutter, die die Standesunterschiede zwischen sich und Leo nicht mehr ertragen konnte, einen neuen Freund angelacht, den angeblich so sanften Musiker Fritz Hartkämper, was sich später als Irrtum herausstellen wird.
Die Sensation in diesem Mai 1896 ist jedenfalls die Zaubervorstellung des Amerikaners Charles Banton, der immer wieder, zum Ärger der nicht gerade erfolgreichen Konkurrenz in der Person des Großen Bellini, an neuen Tricks arbeitet. Doch nun geschieht bei einer Vorstellung ein tödliches Unglück. Banton zersägt seine Assistentin Beatrice Charringham live vor Publikum, weil der Sarg der vorgeblichen Jungfrau manipuliert wurde. Wobei eigentlich Banton im Sarg liegen und sein französischer Assistent Pascal Chabrice, der krank wurde, die Säge ansetzen sollte. Die kurzfristige Änderung lässt nun vermuten, dass der Große Bellini, der eigentlich Sachse ist und Hans Sobers heißt, die Finger im Spiel hat. Zu diesem tragischen Fall gesellen sich dann noch vier Leichenfunde von jungen, leicht kostümierten Frauen, die im Prater gearbeitet haben und nun in der Nähe der Villa des reichen Unternehmers Rothschild gefunden wurden. Leo ermittelt, auch mit Julias Hilfe, und muss sich außerdem mit den abfälligen Reden seiner Polizeimitarbeiter gegen wohlhabende Juden auseinandersetzen. Außerdem wabern immer wieder Schauergeschichten über den Großen Califati durch den Prater. Ist dies nur eine Legende oder eine existierende Gruselfigur? Die ehrgeizige Julia jedenfalls wird inkognito für die Zeitung im Prater recherchieren und sich sogar für den oft betrunkenen Messerwerfer Charlie als Assistentin nicht nur einmal in Lebensgefahr begeben. Totengräber Rothmayer vom Wiener Zentralfriedhof hat in diesem Band, neben den pubertären Ausfällen und der Fußballleidenschaft seiner angenommenen Tochter Anna mit den bestechlichen Pompfüneberer zu kämpfen.
Spannend wie immer liest sich auch dieser Kriminalroman über die Monster im Prater aus der Reihe „Der Totengräber“, den man unabhängig von den Vorgängerbänden gut lesen kann.
( Drei Besprechungen zu weiteren Bänden finden sich auf dieser Website! )

Neben gesellschaftspolitischen und zeitgeschichtlichen Einblicken, wie kurzen Exkursen zu neuesten Erfindungen, z.B. dem neumodischen Apparat Schreibmaschine, dem Kinematographen oder der sich immer mehr umgreifenden Technik der Fingerabdrücke als Beweismittel sind die voluminösen, sprachlich feinen, wie authentisch wirkenden Romane von Oliver Pötzsch auch mit Wörtern des Wiener Dialektes ( mit Glossar am Ende ) durchmischt, was zum Lesevergnügen auf jeden Fall beiträgt.