Sally Rooney: Normale Menschen, Aus dem Englischen von Zoë Beck, Luchterhand Verlag, München 2020, 320 Seiten, €20,00, 978-3-630-87542-2
„So wie ihre Beziehung in der Schule nach seinen Bedingungen gelaufen war, lief sie jetzt nach ihren ab. Aber sie ist großzügiger, dachte er. Sie ist ein besserer Mensch.“
Sie gehen gemeinsam in eine Klasse, aber sie tun so, als wären sie absolut Fremde. Die hochbegabte Marianne liest in jeder Pause, schaut herablassend auf die Mitschüler wie Lehrer und zeichnet sich durch eine ungeheure Arroganz aus. Als Außenseiterin, die in der weißen Villa wohnt, hat sie weder Freunde noch Mitschüler, die sie mögen. Ganz anders bei Connell. Er ist beliebt, hat gute Noten, ist feinfühlig, was seine Kumpel allerdings nicht mitbekommen, ein guter Sohn und ein exzellenter Fußballspieler. Seine alleinerziehende Mutter jedoch arbeitet als Putzfrau für die Mutter von Marianne. Ab und zu holt Connell seine Mutter von der weißen Villa ab und lernt so Marianne näher kennen. Sie werden ein Paar und sie erlebt ihren ersten Sex. Auf seinen Wunsch hin bleibt ihre Affäre ein Geheimnis. Connell ahnt nichts von den psychischen wie physischen Attacken die Mariannes Bruder Adam an seiner Schwester auslässt, er weiß auch nicht, wie lieblos Mariannes Mutter ist.
Als Connell 2011, seine Mutter kritisiert ihn dafür, zum Abschlussball Rachel einlädt, trennt sich Marianne.
Beide sehen sich auf dem Trinity College in Dublin wieder. Nun ist sie die umschwärmte Studentin, die im Mittelpunkt steht. Connell fühlt sich unter den Kommilitonen, deren Eltern alles finanzieren, ziemlich einsam, schlecht angezogen, einfach am falschen Ort. Er muss arbeiten und sich alles hart erkämpfen. Als sich Connell und Marianne auf einer Party wiedersehen, flammt die alte Magie und Anziehung wieder auf. Doch nun hat Marianne die Oberhand und teilt Connell mit, dass sie eher eine offene Beziehung möchte. Will Marianne frei sein in allem, was sie macht, so kümmert es Connell, was die anderen von ihm denken. Er möchte einfach nur gut dastehen, Marianne ist es völlig gleichgültig. Die beiden verbringen sehr viel Zeit zusammen und sind doch kein festes Paar.
„Sie reden über die Romane, die er gerade liest, die Forschungen, mit denen sie sich gerade befasst, den präzisen historischen Moment, in dem sie gerade leben, die Schwierigkeit, einen solchen Moment zu betrachten, während er gerade abläuft. Manchmal hat er das Gefühl, dass er und Marianne wie Eiskunstläufer sind. Sie improvisieren ihre Gespräche so versiert und so perfekt synchron, dass es sie beide erstaunt. Sie wirft sich anmutig in die Luft, und jedes Mal, ohne zu wissen, wie er es tun wird, fängt er sie auf.“
Als die Finanzkrise zuschlägt, verliert Connell seine Wohnung und kann sich nicht durchringen Marianne, um Hilfe zu bitten. Durch Missverständnisse oder auch Schweigen driften ihre Wege wieder auseinander. Sie finden andere Partner und kommen doch letztendlich nie so richtig von einander los.
Es geht um die erste Liebe, die erste längere sexuelle Beziehung, aber auch um die Suche nach dem richtigen Weg ins Leben, um die Milleniumsgeneration und die immer noch vorhandenen Klassenunterschiede. Connell schreibt Kurzgeschichten und findet doch keinen richtigen Halt.
Marianne rutscht immer wieder in Beziehungen, in denen sie sich auf masochistische Weise quälen lässt. Connell weiß, dass Marianne von ihrem Vater, der schon lang tot ist, geschlagen wurde. Vielleicht erklärt sich dadurch ihre stoische, ja fast passive Art, bei der sie oft vieles geschehen lässt, ohne aktiv einzugreifen.
Alles ist in dieser Beziehung der beiden kompliziert und auf der anderen Seite auch wieder normal, denn so ist es einfach, das Leben.