Leonie Swan: Mord in Sunset Hall, Goldmann Verlag, München 2020, 447 Seiten, €20,00, 978-3-442-31556-7
„Doch dort draußen hatte jemand andere Pläne. Jemand hatte ihnen eine Pistole auf den Tisch gelegt, seine Pistole. Jemand spielte ein kaltherziges Spiel – mit ihnen allen vermutlich, vor allem aber mit Agnes. Ein altes Spiel.“
Wann ist der richtige Zeitpunkt, um zu sagen, es war eine gute Zeit, aber jetzt kann mein Leben zu Ende gehen? Wer kann das entscheiden? Sicher jeder selbst, aber dazu gehört eine Portion Mut und auch Verzweiflung. Und vor allem, wie beendet man seine Tage und wer ist in der Lage, es zu tun? Auf all diese Fragen haben Agnes, Edwina, Winston, Bernadette und der Marschall eine Antwort gefunden, sie wohnen in Sunset Hall und nicht im Pflegeheim „Lindenhof“. Für die Leute im Dorf, wo die Gerüchteküche gerne kocht, sind sie zwar „ein Haufen seniler Hippies“, aber im großen Haus von Agnes Scharp, die nicht mehr ganz genau weiß, ob sie nun 78 oder 87 Jahre alt ist, können sie an ihrem Lebensabend ohne Vorschriften und Demütigungen ihre Tage verbringen.
Einst hatten Agnes und Lillith diese Idee, mit Menschen ihres Alters zusammenzuwohnen. Niemand ist mehr allein und doch hat jeder noch die Entscheidungsgewalt über sein Leben. So kann die Neue im Haus, Charlie, ihren geliebten, riesigen Wolfshund mitbringen, Edwina darf ihre harten Kekse backen und ihre eigenwillig Schildkröte Hetti im Haus frei herumlaufen lassen und da sich nie Angehörige zu Besuchen anmelden, leben alle in Ruhe und Frieden. Per Internet kann man vieles bestellen, eine Physiotherapeutin kommt ins Haus und eine Zugehfrau. Schriftlich festgelegt wird, und das ist das Geheimnis, an welchem Zeitpunkt jeder den anderen die Freiheit gibt, ihn zu töten.
Nun liegt Lillith mit einem gezielten Schuss im Nebengebäude. Allerdings ist der Revolver verschwunden und der Marschall kann sich nicht erinnern, was er mit ihm gemacht hat. Zu gleichen Zeit liegt auch im Nebenanwesen eine erschossene Frau. Die allseits verhasste und unsympathische Mildred Puck, mit der Agnes einst befreundet war, ist das Opfer. Mildred dämmerte jedoch nach einem Schlaganfall nur noch in ihrer eigenen traurigen Welt vor sich hin. Als die Polizei vor der Tür von Sunset Hall steht, entsteht der Plan, dem Mörder von Mildred auch gleich den Mord von Lillith unterzuschieben. Zu diesem Zeitpunkt wissen die alten Leute noch nicht, dass beide mit derselben Waffe ermordet wurden.
Agnes, deren Hüfte nicht mehr so richtig mitmachen will und auch sonst so einiges im Argen liegt, hatte früher bei der Polizei gearbeitet. Sie beginnt zu ermitteln, denn nach kurzer Zeit liegt der gesuchte Revolver plötzlich auf dem Tisch mitten im Salon und eine weitere Tote ist zu beklagen. Im Ort Duck End wurde Olive Spurman erschossen, mitten ins Gesicht. Für Agnes ist klar, dieser Täter ist ein Monster, denn das Morden hört nicht auf.
In Gedanken wandert Agnes immer wieder in die Vergangenheit. Manchmal sieht sie ihre Mutter am Fenster stehen und sie erinnert sich an ihre Zwillingsschwester Alice, die nach einer unverzeihlichen Tat verschwunden ist. Auch Mildred und Isobel sind Zwillinge. Alle vier waren als Kinder befreundet und doch hat diese – trotz örtlicher Nähe – das Erwachsenenleben nicht überstanden.
Die deutsche Autorin Leonie Swan siedelt ihren Krimi in England an, wo sie mittlerweile auch wohnt. Alles ist ein bisschen angestaubt, ein bissen schrullig, denn die alten Leute plagen sich mit allen möglichen Altersbeschwerden. Der Marschall hat extreme Gedächtnislücken, Bernadette kann kaum noch sehen, Edwina benimmt sich leicht kindisch und Winston sitzt im Rollstuhl.
Es kann passieren, dass Agnes dritte Zähen auf Hettis Panzer durchs Haus wanken oder der piepende Ton im Ohr so laut ist, dass niemand etwas hört. In Agnes‘ „Erinnerungsausflügen“ taucht immer öfter ihre Schwester Alice auf. Könnte es sein, dass sie zurückgekehrt ist?
Nachdem Olive getötet wurde, verschwindet ihre Nachbarin Theresa ganz schnell im Altersheim „Lindenhof“. Doch warum? Hat sie etwas gesehen? Agnes muss es herausfinden und landet sozusagen in der Vorhölle, wo sie durch eine Verwechslung mit Medikamenten sediert wird.
Immer mehr verliert sich Agnes in ihren Recherchen und ihre Mitbewohner überlegen bereits, ob nicht jetzt der richtige Zeitpunkt wäre, um sie zu erlösen. Doch Agnes ist zäh und noch lässt sie sich nicht unterkriegen, auch wenn ihre Beschuldigungen in eine völlig falsche Richtung gelaufen sind.
Leonie Swan hat sich einen clever konstruierten Plot für ihren teils komischen, teils auch ernsten Krimi über das Alter und den würdelosen Umgang mit alten Menschen ausgedacht. Es geht um die Beschwerlichkeiten des Alterns, aber nicht um den Verlust des Denkvermögens. Gebannt folgt man als Leser dieser kruden Geschichte, in der die handelnden Personen ab und zu mal einschlafen, nicht gut hören, laufen oder sehen, ab und zu über Hetti stolpern und doch hinter die Machenschaften des Täters gelangen, der sicher nicht älter ist als sie.