Mick Herron: Down Cemetery Road, Zoë Boehm ermittelt in Oxford, Aus dem Englischen von Stefanie Schäfer, Diogenes Verlag, Zürich 2025, 560 Seiten, €19,00, 978-3-257-30115-1
„Und diese einzige Gewissheit brachte Sarah nun endlich einen Grund zum Weinen: Während der Zug weiterfuhr, trauerte auch sie. Nicht um die Toten, sondern um die Lebenden. Egal, wer noch unter ihnen war.“
Wenn Sarah Tucker sich langweilt, dann putzt sie genau die Ecken in ihrem Haus in Oxford, die sowieso niemand sieht oder sie isst in Unmengen Kekse und Pfefferminzbonbons. Es ist nicht leicht für sie, als Akademikerin einen Job zu finden und Ehemann Mark, der bei einer Bank angestellt ist und endlich mal so richtig Karriere machen will, erwartet von Sarah, dass sie nun die brave Hausfrau spielt und endlich ein Kind bekommt. Aber in Sarah lebt noch ein widerspenstiger Geist und bei der Essenseinlandung von Gerald Inchon, einem möglichen Investor, und seiner jungen Vorzeigefrau gibt sich die schlagfertige Sarah wenig Mühe und lädt auch noch ihre Hippiefreundin Wigwam und ihren farblosen Ehemann Rufus ein.
„ Um zu beschreiben, was sie an diesem Abend trug, hätte man sich mit der Anthropologie der 1970er-Jahre auskennen müssen; wahrscheinlich etwas, das Abba aussortiert hatte, als sie sich für die weißen Hosenanzüge entschieden. Ein lila Schlabber-Onesie, die Reinkarnation eines Sofaüberwurfs.“
Gerald Inchon entpuppt sich als widerlicher wie stinkreicher Zeitgenosse, der natürlich Waffen sammelt und auf alle mit Arroganz herabblickt. Doch dann fliegt mitten im unerfreulichen Tischgespräch in der Nähe unten am Fluss ein Haus in die Luft. Gerald vermutet eine Bombe, die offizielle Erklärung lautet Gasexplosion. Die Bewohnerin und eine fremde Person kommen ums Leben, die vierjährige Tochter, Dinah Singleton, übersteht einem Wunder gleich das Unglück lebend. Tom, Dinahs Vater, ein Soldat, ist bei einem Hubschrauberunglück getötet worden, doch nun stellt sich später heraus, dass er sich in dem Haus aufgehalten hat.
Mick Herron erzählt seine spannende Geschichte voller Geheimnisse und unglaublicher militärischer Experimente zum einen aus Sarahs Sicht, die gern immer wieder in ihrem Gedankenkarussell versinkt, zum anderen scheint ein Geheimdienst, angeblich zuständig für die nationale Sicherheit die Fäden zu ziehen. Ein gewisser Howard jedoch hat seine Agenten, die Brüder Axel und Amos Crane nicht im Griff. Sie sind sich allerdings einig, dass das Kind verschwinden muss, denn ein gewisser ebenfalls totgesagter Michael Downey, Soldat in der Einheit von Tom Singleton, wird nach ihm suchen.
Sarah jedenfalls sorgt sich aus Langeweile oder auch Neugier um Dinah, die sie auch noch mit einem anderen Kind in der Nachbarschaft verwechselt. Aber egal. Die Polizei ist kaum an Sarahs Fragen interessiert und so sucht sie den Privatdetektiv Joseph Silvermann auf, der gleich klarstellt, dass er kein Philipp Marlowe ist. Hier trifft sie auch die taffe Zoë Boehm, die Ex-Ehefrau von Joseph, die offensichtlich nicht viel von den kriminalistischen Fähigkeiten ihres Partners hält. Dinahs intensive Suche mit Joseph nach dem vermissten Mädchen stößt auf den Unwillen der Geheimagenten, denen offenbar als Problemlösung „nur ein flaches Grab“ einfällt.
Sie täuschen jedenfalls Josephs Selbstmord vor und stellen es so dar, als wäre er Sarahs Dealer, da sie als Studentin so einiges an Drogen ausprobiert hatte. Als dann auch noch Kokain in Sarahs Haus gefunden wird, kann sie sich gegen die falschen Anschuldigungen der Polizei und vor allem die Vorwürfe ihres Mannes und die von Zoë Boehm nicht mehr wehren. Sie versinkt in Scham und Depressionen und bekommt auch noch einen verspäteten Brief von Joseph zugestellt. Wigwam kümmert sich um Sarah und der harmlose Rufus, der sich allerdings von einer Sekunde auf die nächste in den Killer Axel Crane verwandelt und nach Joseph nun auch Sarah, ausgerechnet mit ihrer Zahnseide, töten will. Allerdings wird sie von dem mysteriösen Michael Downey, dem Mann, der immer irgendwie in ihrer Nähe ist, gerettet. Nach Rufus Tod fliehen Sarah und Michael Downey, denn nun ist für die sich so langweilende Hausfrau alles anders als je zuvor.
Referenzen an Filme, z.B. „Der Malteser Falke“, heftige Schlagabtausche zwischen den Figuren, ein gewisser schwarzer wie trockener Humor und nicht gerade stubenreine Dialoge verbindet Mick Herron mit einer temporeichen Handlung voller unerwarteter Wendungen und Ereignisse. Die angekündigte Hauptfigur Zoë Boehm allerdings spielt nicht die tragende Rolle, taucht aber am Ende auf, um mit ihrem Charisma ein paar Dinge geradezurücken.
Die Werbung für den Streamingdienst Apple TV+ auf dem Cover des Bandes und einem Vorwort von Emma Thompson, die in der gleichnamigen Serie Zoë Boehm spielt, weckt natürlich die Neugier auf die filmische Umsetzung des spannenden Romans. Um die Geschichte voranzutreiben, haben die Drehbuchautoren sich überzeugend neue Handlungsverläufe und Nebenfiguren ausgedacht. Allerdings bleibt der Grundcharakter der dramatischen wie geheimnisvollen Geschichte erhalten, in der jedoch die Verantwortlichen auf der Regierungsebene und beim Geheimdienst eher als dümmliche Karikaturen und Axel Crane als das Klischee eines brutalen, wie unberechenbaren Mörders dargestellt wird.
Doch wie immer, Mick Herrons Romane sollte man nicht verpassen.