Huntley Fitzpatrick: Mein Sommer nebenan, Aus dem Amerikanischen von Anja Galic, München 2013, 512 Seiten, €16,99, 978-3-570-15572-1

„Wie kann es sein, dass die Planeten auf denen ich und die Garretts leben, bis zu diesem Sommer immer in unterschiedlichen Galaxien existierten und wir auf einmal ständig miteinander in Berührung kommen?“

Samantha lebt mit ihrer wohlhabenden Mutter und ihrer Schwester Tracey im wunderschönen Stony Bay in Connecticut. Alles wäre prima, laut Mrs. Reed, wenn da nicht vor zehn Jahren die kinderreiche Familie Garrett nebenan eingezogen wäre. Nach Jahren absoluter Funkstille zwischen den Nachbarn sind es nun acht Kinder, die im Garten wahllos ihren Krempel liegenlassen und eine enorme Lautstärke verursachen. Obwohl so jung sind die Ältesten gar nicht mehr. Jase ist immerhin 17 und er hat ein Auge auf Samantha geworfen, die bereits seit Einzug der Garretts von ihrem Zimmer und dem schmalen Dachfirst aus die aufregende Nachbarfamilie beobachtet. Samanthas steife, perfektionistische Mutter hat ihre feindliche Ablehnung den Garretts gegenüber nicht aufgegeben. Sie ist inzwischen Senatorin geworden und kämpft mit Hilfe des gewieften, wie skrupellosen Clay Tucker, der mit allen Wasser gewaschen ist, um ihre Wiederwahl.

Die Sommerferien beginnen. Tracy arbeitet in diesem Sommer auf Martha’s Vineyard und Sam verbringt viel Zeit allein, obwohl sie natürlich ebenfalls nicht nur einen Job angenommen hat. Endlich lernt sie durch Jase, der ein feiner und dazu noch gut aussehender Kerl ist, die Familie Garrett kennen. Sams Mutter würde ihre Tochter vierteilen, wüsste sie, dass sie bei den freundlichen Garretts aus- und eingeht und sogar ab und zu babysittet. Sam ist total verliebt in den ängstlichen, aber wissbegierigen George, in Andy, Harry, Patsy und alle anderen.

Zu ihrer allerersten wirklich großen Liebe jedoch mit allem, was dazu gehört, wird der vertrauensvolle Jase. Mit ihm kann sie sehr intim werden und auch erstmalig Sex haben. Jase zeichnet sich aus durch seinen geschickten Hände, die sogar, sie weiß es nicht, den heißgeliebten Staubsauger von Sams Mutter repariert. Sein Vater betreibt einen Baumarkt, aber die Geschäfte laufen nicht gut und die Aussicht auf den Collegebesuch wird immer geringer.

Sam jedenfalls durchlebt in diesem Sommer alle emotionalen Höhen und Tiefen. Ärgerlich ist, dass sie sich kaum gegen ihre dominante Mutter, die pausenlos ihren porentief reinen Teppich saugen muss, durchsetzen kann und die schon hysterisch wird, wenn sie mal ein paar Minuten am Abend zu spät kommt. Clay Tucker wiederum bestimmt das Leben der Senatorin, die für die Republikaner antritt.

Die interessanteste Figur im Roman jedoch ist Tim. Er ist Nans Bruder, der besten Freundin von Sam. Die drei kennen sich seit sie Kinder sind. Tim rutscht immer mehr in unangenehme Schieflagen, er nimmt Drogen, trinkt zu viel Alkohol und kann dem Leben so gar nichts mehr abgewinnen. Um nicht von seinen korrekten, gelangweilten Eltern in eine Militärakademie abgeschoben zu werden, beginnt er bei Mr. Garrett im Baumarkt zu arbeiten, nachdem er schon überall rausgeflogen ist und im Wahlbüro von Sams Mutter.

Er wird seltsamerweise in dieser Geschichte zur moralischen Instanz. Tief gefallen rappelt sich Tim auf, fühlt sich von den Garretts akzeptiert und kündigt ziemlich schnell wieder die Arbeit mit Tucker, den er für wirklich manipulativ und gefährlich hält.

Alle seine Vorahnungen werden sich bestätigen.

Als Mrs. Reed erkennt, mit wem ihre jüngste Tochter zusammen ist, versucht sie, ebenfalls durch Manipulationen oder Drohungen Sam von Jase zu trennen.

Als dann aber Mrs. Reed einen Unfall mit schweren Folgen verursacht, muss sich Sam entscheiden, auf wessen Seite sie steht.

Die amerikanische Autorin Huntley Fitzpatrick hat einen unterhaltsamen wie romantischen Debütroman geschrieben. Tiefe gewinnt die Geschichte von Samantha und Jase durch die Konflikte, die ihre junge Beziehung überwinden muss. Sam erkennt, unter welchem Druck ihr Freund steht, aber auch, welchen Rückhalt ihm seine turbulente, liebevoll miteinander umgehende Familiengemeinschaft gibt.

Weiterhin steht die Freundschaft zwischen Sam und Nan auf dem Prüfstand, denn Nans ungerechtfertigte Spitzen gegen die Freundin kulminieren in einer enttäuschenden Entdeckung.

Tim ist auf seine Art die interessanteste und witzigste Figur, denn er durchlebt in diesem Sommer eine wahre Läuterung, obwohl alle guten Eigenschaften in ihm längst angelegt sind.

Huntley Fitzpatrick zeigt die amerikanische konservative Mittelschicht in all ihrer Strebsamkeit, mit ihren Vorurteilen und den gepriesenen Wertevorstellungen in einer auf Arbeit und Leistung orientierten Welt. Tim verweigert sich vorerst diesem System, die brave Sam erkennt jedoch ziemlich spät, wie ihre eigene Mutter, die angeblich in ihrem Wahlkampf für das Gemeinwohl einsteht, rücksichtslos ihre eigene Unversehrtheit über alles stellt und nicht mehr weiß, was richtig und was falsch ist.