Maja Lunde: Für immer, Aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein, btb Verlag, München 2025, 320 Seiten, €24,00, 978-3-442-76278-1

„Der Stillstand sei der Versuch der Erde, den parasitären Menschen loszuwerden. Mit dem Ziel, eine neue und bessere Welt zu schaffen. Nur durch ein Leben im Einklang mit der Natur, durch das der Organismus Erde wieder für gesund erklärt werden konnte, würde der Stillstand aufgehoben werden.“

Die Natur lebt weiter, aber die Menschheit stagniert dramatisch, d.h. niemand wird älter. Die Haare wachsen nicht mehr, die Menschen müssen weder essen noch trinken, niemand kann sterben und alle sind von einem Tag auf den anderen unsterblich.
Maja Lunde entwickelt in ihrem Roman ein verlockendes Gedankenexperiment, dass sie durch die Einblicke in den Lebensalltag von sechs Personen konsequent psychologisch genau bis ans bittere Ende durchspielt. Da ist zum Beispiel das Rentnerehepaar Otto und Margo. Sie verabschieden sich von ihrem Haus, um in eine kleine Wohnung in einer Eigentümergemeinschaft zu ziehen. Otto fällt es sehr schwer, sich von seinem Garten und den Pflanzen zu trennen. Genießt Margo die neuen Bekanntschaften im Haus, beginnt Otto immer mehr Pflanzen, Töpfe und Erde zu kaufen, um sich erneut eine Gartenlandschaft auf der Terrasse zu schaffen. Mit der Aussicht auf ein unendliches Leben mit dem unzufriedenen Ehegatten verlässt Margo Otto und zieht zu einer Freundin. Auch für Jenny, die ihren Beruf als Fotografin, da sie todkrank ist, nicht ausüben konnte, beginnt eine neue Zeit. Der Tumor wächst nicht mehr und so zieht sie sich zuerst mit der Familie ins Ferienhaus zurück, fängt dann aber an, nur noch für den Beruf zu leben. Als Lisa in der fünfundzwanzigsten Schwangerschaftswoche versteht, dass ihr Kind nicht wachsen wird, reagiert ihr Ehemann Jakob völlig falsch. Erpicht auf eine zweite Meinung, ergattert er einen Termin an einer Privatklinik, obwohl die Familie sich nicht mal einen Kinderwagen leisten kann. Hier lassen sich die Eltern zu einer eingeleiteten Frühgeburt überreden.
Mit der Unsterblichkeit endet die Arbeit in Beerdigungsinstituten, in Krankenhäusern und auf Entbindungsstationen. Auch die Menschen, wie Markus, die in ihrer Verzweiflung versucht haben, den Freitod zu finden, können nicht sterben. Verschwörungstheorien ziehen ihre Kreise, absurde Versuchserklärungen, warum der Stillstand über die Menschheit gekommen ist. Mit dieser Aussicht auf ein Leben ohne Veränderung schleichen sich ins Alltagsleben ganz unterschiedliche Gefühle und Reaktionen, Unzufriedenheiten, Passivität, aber auch Aggressivität. Hat Otto so viel an Fleiß und Geld in seinen neuen Garten investiert, so schnell geschieht es, dass er ihn verkommen lässt. Auch wenn Jenny Lebenszeit geschenkt bekommen hat, entfernt sie sich trotzdem von denen, mit denen sie doch Zeit verbringen sollte. Denn nichts bereitete ihr mehr Kummer, als die Tatsache, dass ihre Söhne ohne Mutter aufwachsen werden.
Nicht mal das Base-Jumping bereitet Ellen Freude, denn der Kick fehlt.

Maja Lunde erzählt von einem Menschheitstraum, der jedoch heruntergebrochen auf das normale Leben zum Alptraum wird. Die schwedische Autorin bleibt auf der privaten Ebene fantasievoll und erzählt packend. Den großen Wurf jedoch, was die Unsterblichkeit philosophisch wie gesellschaftspolitisch bedeuten könnte, bleibt sie den Lesenden schuldig.
Leider hat die schwedische Autorin das Ende lustlos heruntergeschrieben. Schade.