Lucy Foley: Mittsommer, Aus dem Englischen von Ivana Marinović, Penguin Verlag, München 2025, 480 Seiten, €17,00, 978-3-328-60400-6

„Die Vögel sind da draußen im Wald. Und sie, sie war heute Abend hier, in meinem Zimmer. Schlimmer noch, sie möchte, dass ich es weiß.“

Es ist das große Ereignis, auf das die schillernde und von sich sehr überzeugte Francesca Meadows hingearbeitet hat: ein exklusives Hotel für die oberen Zehntausend in einem wundervollen Waldgebiet am Ärmelkanal. Es soll ihr Garten Eden sein und dazu mussten sich die Hotelgäste sogar mit ihrer Vita ausweisen, um einchecken zu dürfen. Francesca Meadows, die sich durch ihre innere Ruhe und ihren Glauben an Kristalle und anderen Magien auszeichnet, möchte „eine Familie“ um sich vereinen. Da in der Umgebung des Hotels „The Manor“ die Einheimischen gern von der Legende der Vögel erzählen, spielt auch dieser Gruseleffekt für Francesca eine Rolle. Sie muss die Reichen und Schönen überraschen und einfach anders sein als die Luxushotels in London.
Lucy Foley erzählt nun zeitversetzt von den Geschehnissen vom Eröffnungstag des Hotels, einem völlig tragisch verlaufenden Mittsommerfestes und dem Tag nach der Sonnenwende aus der Perspektive von Francesca, Bella, einer einstigen Freundin von Francesca und Eddy, dem Tellerwäscher im Hotel. Zu Wort kommen aber auch die Ermittler, denn es wird nicht nur eine Leiche am Wasser gefunden und das Hotel wird letztendlich in Brand gesetzt.
Von Anfang an gibt es erhebliche Konflikte mit den Einwohnern des Ortes Tempe, denn sie sind mit diesem Hotelprojekt nicht einverstanden. Doch Francesca hat beste Kontakte zum Gemeinderat und sie hat es sogar geschafft, jahrhundertealte Wegerechte und Eigentumsverhältnisse zu ihren Gunsten zu verändern. Zu gern spricht die egoistische wie vom Reichtum verwöhnte Francesca die Lesenden an, um sie von ihren Ideen zu überzeugen. So merkt sie sich alle Namen der Angestellten und betont, dass man Personal nicht gut bezahlen muss, wenn man ihm die Wertschätzung für seine Arbeit entgegenbringt. Vordergründig wird Nachhaltigkeit gepredigt und im Hintergrund werden wertvolle Bäume ohne Bedenken abgesägt. Francesca fordert, dass die Einheimischen den Strand nicht mehr betreten dürfen. Doch es regt sich Widerstand in der jugendlichen Bevölkerung und seltsame Vogelgestalten tauchen in den Nächten auf, die randalieren. Als Gegenfigur kommt Bella zu Wort, die eigentlich Alison heißt und sich den Hotelpreis gar nicht leisten kann. Vor fünfzehn Jahren war sie mit Francesca befreundet, da sie mit ihren Eltern auf dem Campingplatz Urlaub machte. Die reiche Frankie und die arme, damals sechzehnjährige Bella, wie sie Francesca nannte, ein sehr ungleiches Paar, verbrachte Zeit miteinander. Zu ihnen gesellten sich die fiesen Zwillingsbrüder von Francesca und eine junge Frau aus dem Ort, Cora. Bella freundete sich mit dem attraktiven Jake an, der nach diesem Sommer und dem gemeinsamen Mitternachtspicknick damals verschwand. Auch Eddy, der Bruder von Jake, kommt zu Wort. Er will kein Bauer werden, sondern Barkeeper und arbeitet ohne Wissen der Eltern im Hotel. Bella, die gerade Mutter geworden ist, will endlich ihr Gewissen reinigen und Francesca über die damaligen Ereignisse zur Rede stellen. Fast alle Figuren in diesem Roman haben Geheimnisse, die sich um ihre Herkunft drehen. So verschleierte der begnadete Architekt und Ehemann von Francesca, Owen Dacre, seine Herkunft, genau so wie die Hotelmanagerin Michelle. Und sogar Detective Inspector Walker entpuppt sich als ein verschollener Einwohner des Ortes.
Welches tragische Ereignis all die genannten Personen nun miteinander verbindet, davon erzählt Lucy Foley in ihrem überzeugend zeitlich verschachtelten Roman. Am Ende wird es nicht nur eine Leiche geben, sondern vier Tote.
Spannende Lektüre mit raffinierten Ausflügen in die englischen Klassengesellschaft und die unergründliche wie bewahrenswerte Natur!