Louise Candlish: Der fremde Passagier, Aus dem Englischen von Beata Brammertz, btb Verlag, München 2024, 432 Seiten, €17,00, 978-3-442-77108-0

„ …, aber ständig mit anhören zu müssen, wie diese jungen Leute glaubten, ein Anrecht auf angesehene und bessere Jobs zu haben als diejenigen, die sie sich tatsächlich erarbeiteten hatten, war ermüdend. Werdet erwachsen!“

Für Normalsterbliche ist ein Leben in London einfach zu teuer. Davon könnte der Ich-Erzähler, Jamie Buckby, ein Lied singen, wäre er nicht mit Clare liiert, die ein wunderbares Stadthaus von ihren Eltern geerbt hat. Natürlich redet man nicht über Geld, aber jedem fehlt es.
Der achtundvierzigjährige Jamie, der eigentlich im Marketingbereich gut verdient hat, muss sich nun mit einem Job in einem Café zufriedengeben, denn er neigt zu Panikattacken in allzu vollen Zügen. Um zu seinem Arbeitsplatz zu gelangen, nutzt Jamie neuerdings die Fähre und fühlt sich bestens. Clare drängt ihn allerdings zu Höherem, aber ihr Lebensgefährte, der bei ihrem Ableben nicht einen Cent erben würde, ist ganz zufrieden. Das nach außen hin gut situierte Paar freundet sich nun mit Christopher Roper, genannt Kit und seiner Freundin, der äußerst attraktiven Melia, an. Beide gehen auf die dreißig zu und haben einst versucht, als Schauspieler Karriere zu machen. Kit arbeitet nun in einer Versicherungsgesellschaft und Melia ist die neue Mitarbeiterin in der Immobilienfirma, in der auch Clare seit Jahren arbeitet. Als Clare Melia und Kit zu sich nach Hause einlädt, beginnt ein gefährliches Spiel aus Neid, Lügen,Verrat und Mord.
Jamie hatte Kit von seinem Arbeitsweg erzählt und so trifft er den unzuverlässigen Freund jeden Morgen und Abend auf der Fähre.
Kurz nach Weihnachten jedoch fangen zwei Kriminalbeamte Jamie auf seinem Weg zur Arbeit ab und befragen ihn, denn Kit ist seit dem dreiundzwanzigsten Dezember verschwunden.
In Rückblenden erinnert sich Jamie nun, wie er Kit und Melia kennengelernt hat. Offen und ohne Scham berichtet Kit gern von seinen und Melias Schulden. Wie hoch diese sind, wird sich erst im Laufe der Geschichte herausstellen. Zu Schlagabtauschen kommt es auf der Fähre zwischen den Freunden, aber auch zwei weiteren Passagieren, Gretchen und Steve, die Jamie und Kit kennengelernt hatten.
Jamie wird oft damit aufgezogen, dass er sich von Clare aushalten lässt. Diese Information kann Kit nur von Melia erhalten haben, denn Jamie und Melia haben eine Affäre. Zuerst hat Jamie gedacht, dass sich Melia an den zwanzig Jahre älteren Mann herangemacht hat, weil sie denkt, er ist der Hauseigentümer. Doch weit gefehlt, sie liebt ihn angeblich.
Als die Polizei festgestellt hat, dass Jamie Kit als letzter gesehen hat und beide auch noch gestritten haben, gehört er zu den Verdächtigen, denn angeblich gibt es noch einen Passagier, der als Zeuge aussagen kann. Jamie versucht alles, um Kits Verschwinden auf seinen Drogenkonsum zu schieben, wobei er sich immer gefragt hat, wie er diesen überhaupt bezahlt. Jamie hätte an Melia zweifeln sollen, als diese verkündet, sie wolle nun endlich Kit heiraten. Die Affäre mit Jamie will sie weiterführen. Auch das lässt den verliebten Jamie nicht zweifeln. Die einzige in der toxischen Konstellation der Handelnden ist Clare. Sie erkennt, dass offenbar Jamie der Sündenbock sein soll, damit Melia an die Lebensversicherung von Kit herankommt. Denn nichts ist echt, weder die Kriminalbeamten, noch das Verschwinden von Kit.
Aber auch diese Idee lässt die Autorin Louise Candlish fallen und inszeniert einen völlig überraschenden Showdown, der psychologisch überzeugend ist und auf die junge Generation in westlichen Gesellschaften übertragbar. Leider.