Alexa Hennig von Lange: Leichte Turbulenzen, C. Bertelsmann Verlag, München 2011, 320 Seiten, €19,99, 978-3-570-10073-8\r\n

„ … sie würde ihn ein Leben lang begleiten, nie mit ihm streiten, ihn immer lieben, er würde sie immer anrufen, sie nie zweifeln lassen, nie eine andere angucken, mit ihr eine Familie gründen, mit ihr alt werden, mit ihr eine Lesebrille kaufen, sie zum Arzt begleiten, mit den Enkeln Weihnachten feiern.“

Ivy Bachmann leidet unter Flugangst. Zum Glück trifft sie auf den attraktiven Desmond Gayle, der ihr die Furcht hoch in den Lüften von Berlin nach London wegredet. Beide finden sich auf den ersten Blick interessant, vermasseln aber den hoffnungsvollen Einstieg.

Alexa Henning von Lange erzählt nicht nur von ihrer 35-jährigen leicht konfusen Hauptfigur, sondern auch eine Familiengeschichte voller leichter und schwerer Turbulenzen. Ivy sehnt sich nach einer Familie, wird von ihrer leistungsorientierten älteren Schwester Nathalie immer wieder zu Männerbekanntschaft gedrängt und findet in ihrem beruflichen Umfeld im Wachsfigurenkabinett von Madame Tussaud genug Verehrer. Zur Zeit arbeitet die Bildhauerin an Vincent van Gogh. All ihre Energie konzentriert Ivy nun auf die Modulation dieses Künstlers und ihre Hoffnung, zu Desmond Kontakt aufzunehmen.
Neben Ivys innerem, noch andauernden Kampf mit ihrem komplizierten, wie manisch selbstbezogenen Ex-Freund Jaris, gewinnt der Leser nach und nach Einblicke in unterschiedliche Frauenleben. Alle reagieren auf Männer anders, ob nun mit emotionaler Erpressung, Resignation oder Ersatzbefriedigung. Warum hat sich Ivys und Nathalies Mutter das Leben genommen? War es das Verzweifeln an einem künstlerisch geprägten Leben ohne Öffentlichkeit in einem kleinen unbedeutenden Kaff?

Die dominante Nathalie lebt mit ihrem beruflich erfolgreichen Mann Peer und der kleinen Tochter Lucy im angesagten Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg. „…- dem Viertel, in dem das perfekte Glück, als der immer währende Moment zu einer Art Wohnberechtigungsschein geworden war.“ Doch das „perfekt Glück“ stellt sich nicht ein. Nathalie fühlt sich permanent unterfordert, was sie wahrscheinlich auch ist. Sie kreist ununterbrochen um die eigene Person und das Wohlergehen ihrer Tochter. Allergisch reagiert sie auf andere Mütter und Haushaltsgespräche und sie registriert Reaktionen auf ihr Verhalten, da sie als Mutter alles richtig machen will. In ihrer Hysterie steigert sie sich in nicht vorhandene Konflikte und ihre schlimmsten Fantasien werden letztendlich wahr. Auch wenn Nathalie in ihrer Selbstüberschätzung, ihrem Kontrollzwang und ihrer Eigenliebe nicht gerade sympathisch wirkt, nachvollziehbar sind ihre existentiellen Probleme sicher für viele intellektuelle Mütter oder die, die sich dafür halten. Dass Alexa Henning von Lange diese kopflastige Frau in dem Glauben lässt, sie könne ein Kinderbuch und natürlich den ultimativen Bestseller schreiben, strotzt geradezu vor bitterböser Ironie.

Es zieht sich eine allgemeine Frauen-Unzufriedenheit durch diesen Roman. Eve, Ivys Nachbarin, nervt mit ihrer Aggression gegen ihren Mann, Jaris Ehefrau bedrängt ihren Mann mit ihrer permanent gereizten Art, Nathalie kann kein inneres Gleichgewicht finden und ihre Mutter hat ihrem Leben ein Ende gesetzt. Sogar Ivys Vater sucht am Ende nach dem Fotoalbum, um sich die Gewissheit zu verschaffen, dass seine Frau auf seinen Fotos immer gelacht hat. Was läuft falsch in dieser Gesellschaft? Sollte sich Ivy nicht lieber einen idealen Mann aus Wachs formen?

Ivy und Desmond finden sich am Ende der äußerst unterhaltsamen und klug beobachteten Alltagsgeschichte im Flugzeug auf den fast gleichen Plätzen wieder und erhalten eine zweite Chance.

Ein Familienroman, der diverse Beziehungsfragen aufwirft und durchaus literarischen Mehrwert besitzt.