Verena Friederike Hasel: Lasse, Ullstein Verlag, Berlin 2015, 208 Seiten, €18,00, 9783550080937
„Vielleicht will sie wirklich helfen, und wenn das so wäre, müsste ich nicht mehr so tun als ob, sondern könnte ihn alles sagen, zum Beispiel, dass ich zwar ein Kind, aber nicht die passenden Gefühle dazu habe, und dass es mir deshalb so eine Angst macht, ohne Lennart zu sein, so eine schreckliche Angst, vor mir und vor Felix, uns beiden zusammen und miteinander allein.“
Nina lebt als Studentin in Berlin. Sie wohnt in einem Haus, in dem sich die Leute kennen und wissen, dass sie nach der geplanten Grundsanierung ihre Mieten nicht mehr zahlen können. Fast alle sind schon ausgezogen, nur Nina ignoriert alle möglichen Aufforderungen. Sie kann so vieles an sich abprallen lassen und sie kann aber auch zielorientiert handeln, wenn sie etwas will. Objekt ihrer Begierde ist der junge Arzt Lennart, den sie im Krankenhaus kennengelernt hat. Sexuell hemmungslos erobert Nina ihn im Ärztezimmer und bindet ihn an sich, auch wenn sie spürt, das er nicht diese Sehnsucht nach ihr hat wie sie nach ihm. Ninas anhängliche Art führt dann auch zum Bruch der Beziehung, aber da ist die junge Frau schon schwanger.
Lennart, der eine acht Jahre lange Beziehung zu Puck hatte, einer Frau, die er sehr geliebt hat, trauert noch um sie. Nina erscheint ihm zu flatterhaft, ja fast verrückt.
Verena Friederike Hasel lässt Nina mal völlig emotionslos, dann wieder euphorisch und Anteil nehmend erzählen. Dabei fällt es schwer, Nina in all ihren Entscheidungen oder Unschlüssigkeiten zu folgen. Sie ist wie ein Blatt im Wind, ohne eigenen Charakter, ohne einen Standpunkt, nur auf Lennart und sein Wohlwollen fixiert.
Er will unbedingt, dass Nina abtreibt. Nicht dass er kein Kind, keine Verantwortung möchte, das war auch das Problem in der vorherigen Beziehung, die Kinderlosigkeit, er will kein Kind mit Nina. Aber sie versteht es nicht oder will es einfach nicht verstehen. Nachdem Nina mit Lennart nach Amsterdam gereist ist, um doch noch abzutreiben und es dann doch verweigert, trennt sich Lennart.
Nina bringt das Kind zur Welt und das Drama beginnt. Die junge Frau kann noch so viele Ratgeber über glückliche Kinder und Mütter lesen, sie kann ihren Lasse, den sie später Felix-Otto, nach Lennarts schwerkrankem Vater, nennen wird, nicht lieben.
Sie glaubt sogar im Krankenhaus, er sei vertauscht worden. Er ist ihr zu groß, zu unansehnlich. Wie sie ein Kind lieben und streicheln soll, muss sie sich erlesen.
Nina ist unberechenbar, in allem was sie tut. Sie beklaut die Mütter, zugegeben nicht gerade einfühlsame Frauen, im Café Emily Erdbeer, dem einzigen Anlaufpunkt, den sie hat. Sie lügt, wenn es ihr passt. Wovon sie ihr tägliches Leben bestreitet, bleibt ein Geheimnis.
Nina scheint wie fremdgesteuert, wenn es um Lennart geht, den sie nun mit dem Kind belagert, in der Hoffnung noch die kleine glückliche Familie zu werden, die es in jedem Werbespot zu sehen gibt. Alles will sie richtig machen und kennt doch keine echten Gefühle. Ihre depressive Mutter konnte ihr nicht viel geben und der Vater ist abgehauen. Nina blendet alles aus, was ihr nicht passt. Sie lässt sich demütigen, übernimmt keine Verantwortung für sich und ihr Kind und man möchte sie als Leserin pausenlos schütteln. Alle Überforderung führt unweigerlich in die Katastrophe.
In ihrem Debütroman entwirft Verena Friederike Hasel ein beängstigendes Psychogramm eine jungen, egoistischen Frau, die einfach vom Leben überfordert ist. Ihr Glücksanspruch ist verständlich, aber voller Projektionen einer perfekten Welt, die uns vorgegaukelt wird, fern jeglicher Realität. Die Autorin zieht den Leser in den Gedankenstrom ihrer Protagonistin hinein und lässt ihn bis zur letzten Seite nicht mehr los.
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