Judith Poznan: Aufrappeln, DuMont Buchverlag, Köln 2023, 157 Seiten, €22,00, 978-3-8321-8203-8
„Wer ich jetzt sein will, weiß ich noch nicht genau. Kann ich eine Frau sein, die morgens joggen geht? Eine alleinerziehende Mutter mit Affären, wenn der Junge bei seinem Vater ist? Kann ich die Frau, die ich bin, so deutlich in der Mitte durchreißen? Muss ich nicht jetzt wieder alles von Neuem lernen? Neu atmen, neu gehen und neu schlafen. Neu Küssen lernen. Der erste Versuch gleich eine Bruchlandung.“
Wer das erste Buch der in Berlin lebenden Autorin Judith Poznan „Prima Aussicht“ gelesen hat, kennt bereits ihre quirlige Ich-Erzählerin und Hauptfigur Judith. Erneut umkreist Judith Poznan ihr Leben schreibend und wieder sind das mittlerweile vier Jahre alte Kind und Lebenspartner Bruno dabei.
Judith lebt immer noch im westlichen Teil Berlins und ist jetzt Mitte dreißig. Ihr wird eine feste Stelle als Redakteurin angeboten und eigentlich könnte alles gut sein. Doch dann übernehmen die Ratten ihre Wohnung und Freund Bodo entschließt sich, nachdem er schon mehrere Nächte auf dem Sofa geschlafen hat, seine Freundin und die Mutter seines Kindes zu verlassen. Mehr als vier Jahre waren die beiden ein Paar und nun hat sich die Liebe in Luft aufgelöst. Aber so ganz klar ist das auch nicht, denn seltsamerweise folgen nach dieser einseitigen Verabschiedung keine Gespräche oder wirklich heftige Auseinandersetzungen. Zwei Menschen, die offenbar gut mit Worten umgehen können, haben sich wenig zu sagen. Wie so oft wird Erich Kästner zitiert und die Erklärung liegt auf der Hand: Man hat sich auseinandergelebt. Wie soll man sich nun in der gemeinsamen Wohnung, die ja eigentlich Bruno gehört, verhalten? Judith muss sich eine neue Bleibe mit Kind suchen und schon kommt eine Freundin um die Ecke und bietet eine feine, kleine Wohnung gar nicht weit von Brunos Wohnung an. Wenn das mal so einfach in Berlin wäre, hätte die Stadt wirklich weniger Probleme. Der Umzug ist anstrengend, der Trennungsschmerz bleibt und doch geht das Leben mit dem Kind und dem Nestmodell weiter.
Auch die finanzielle Seite scheint Judith kaum zu kümmern. Immerhin hat sie die feste Stelle abgesagt, um endlich „Nägeln mit Köpfen“ zu machen. Sie hat ihren ersten Roman geschrieben. Doch wenn man nicht gleich einen absoluten Bestseller hinlegt, könnte das Leben vom Schreiben schwierig werden, zumal auf Lesereise mit Kleinkind gehen, auch nicht einfach ist.
Immer wieder schweift Judith in die Vergangenheit ab, erinnert sich an ihre erste Liebe, den ersten Kuss, den Ausreiseantrag der Eltern, die sich innig geliebt haben. Vor der Ausreise nach Jahren des Wartens kommt ihnen allerdings der Mauerfall zuvor. Auch die Liebe der Eltern hat ein Ende, denn der Vater, der in den Nullerjahren arbeitslos war, verlässt die Mutter, die wirklich göttlich berlinert.
Judith schaut mit Humor, aber auch einer Prise Wehmut in die Vergangenheit. Doch sie muss sich aufrappeln und sie schafft es so eigentlich ganz wunderbar, mit ihrem Ex-Freund gemeinsame Vereinbarungen für „Mausi“ auszuhandeln. So gehen sie regelmäßig mit dem Kind essen und teilen sich die Betreuung. Wir werden erfahren, was geschehen wird, wenn beide wieder Partner haben. Und dann gilt sicher auch dieser Satz für die Hauptfigur, die weiterhin sicher autofiktional schreiben wird.
„Bis heute verstehe ich mich nur, wenn ich schreibe.“