Jojo Moyes: Zwischen Ende und Anfang, Aus dem Englischen von Karolina Fell, Wunderlich Verlag, Hamburg 2025, 527 Seiten, €26,00, 978-3-8052-0115-5
„Sie starrt ihn an. Niemand stellt ihr jemals diese Frage, wird ihr bewusst. Niemand fragt einfach mal, ob mit ihr alles okay ist. Nicht Bill, nicht Gene, nicht ihre Kinder, nicht einmal Eleanor. Alle erklären ihr, was sie tun solle oder dass schon alles in Ordnung komme oder dass sie nicht so unglücklich sein solle, nicht so mürrisch, nicht so wütend – aber niemand stellt ihr je diese einfache Frage.“
Kaum hat Lila Kennedy ihr unerwartet erfolgreiches Sachbuch „Erneuerung“ mit dem offenbar alle interessierenden Thema, wie man eine lange Ehe frisch hält, veröffentlicht, verlässt ihr Mann Dan sie von einem Tag auf den anderen. Die Zweiundvierzigjährige hatte keine Ahnung, dass er mit ihr unglücklich war oder reizte ihn einfach nur eine zwölf Jahre jüngere, attraktive Frau. Dan wechselt einfach mal über die Straße und wohnt nun mit Marja und ihrem sechsjährigen, braven Sohn Hugo zusammen. Jeden Morgen darf Lila nun ihre jüngste Tochter Violet in die Schule bringen, die sechzehnjährige Celie findet ihren Weg selbst, und Marja begegnen, die gern mit den anderen Muttis plauscht und verstohlen zu Lila schaut. Keine Frage, es gibt viele Schlachtfelder, auf denen Lila nun kämpfen muss. Zumal auch noch ihre Mutter gestorben ist und ihr Stiefvater bei ihr eingezogen ist, um zu helfen und alle mit seinem Gesundheitswahn zu terrorisieren. Und dann sind da noch ein pausenlos bellender Hund und das einst gemeinsam gekaufte, renovierungsbedürftige Haus nebst Garten in Nordlondon, dass nicht nur Nerven, sondern auch Geld verschlingt. Lila braucht unbedingt einen neuen Buchvertrag, denn Dan ist als Redakteur nicht gerade der Großverdiener. Als Marja auch noch schwanger ist und Dan die Bezüge für die Erstfamilie kürzen will, gibt es nur noch laut ausgetragenen Streit.
Als Konfliktherde reicht das allerdings Jojo Moyes noch längst nicht. Sie lässt auch noch Lilas abgebrannten, immer unzuverlässigen, fünfundsiebzigjährigen Vater Gene aus den USA auftauchen, der sich unter Lügen bei Lila einquartiert. Als Schauspieler einst aus einer amerikanischen Serie bekannt, ist sein Stern tief gesunken. Verlassen hat er Lilas Mutter und sie bereits vor Jahren. Mit seinem Charme und seiner Unverfrorenheit bringt er Lila an die Schmerzgrenze, erobert aber die Herzen seiner Enkeltöchter. Ständiger Streit mit Bill, der immer noch unter dem Verlust seiner Frau leidet, die pubertären Anwandlungen von Celie und die Geldsorgen drücken Lilas Stimmung.
Die Idee jedoch, ein weiteres, autofiktionales Sachbuch über ihre Zeit nach der Ehe mit Aussicht auf ein riesiges Honorar zu schreiben, baut sie wieder auf.
Mit ironischem Unterton geschrieben zieht diese unterhaltsame, sehr turbulente Familiengeschichte jeden, der dieses Genre mit gutem Ausgang mag, in seinen Bann. Aus der personalen Erzählperspektive versetzt sich die Autorin in Lila, aber auch in Celie und berichtet so aus beiden Blickwinkeln von den Geschehnissen und Konflikten. Zwei Männer tauchen in Lilas Leben auf, die, das ist schnell vorhersehbar, mehr als nur Nebenfiguren sind. Und die Frage stellt sich, wie Lila nun als freie Frau mit Kindern zwar, ein tolles Sexleben mit wahnsinnig spannenden Abenteuern erleben wird, um diese laut Forderungen der Agentin und dem potenziellen Verlag in ihr neues Manuskript einzuarbeiten. Bedenken muss die Autorin Lila auch, wie es bei aller Verfremdung um die Persönlichkeitsrechte steht.
Alle Ingredienzien, die zu einem witzigen, teils auch tiefer gehenden Unterhaltungsroman dazugehören, finden sich in Jojo Moyes neuem Werk: ein heftiger Ausgangskonflikt mit einer Frauenfigur, mit der man gern mitleidet, sich aber kaum identifizieren will ( Warum ihre Ehe nicht funktioniert hat, wird nicht erkundet. Der Mann ist der Bösewicht und die neue Frau die Hexe.), eine beste Freundin, die immer Zeit hat, eine Geldlage, die nicht allzu tragisch ist und alleinstehende Männer im passenden Alter, die auf den ersten Blick nicht attraktiv sind oder so attraktiv, dass man kaum die Anzeichen neuer Konflikte bemerkt.
Gut zu lesender, dicker Roman für ein verregnetes Wochenende!