Jojo Moyes: Ein ganz besonderer Ort, Aus dem Englischen von Karoline Fell, Rowohlt Polaris Verlag, Hamburg 2025, 496 Seiten, €18,00, 978-3-499-26794-9

„Es war gut, eine neue Freundschaft zu haben, redete sie sich ein. Es war nur zufällig so, dass sie diese Freundschaft Neil gegenüber nie erwähnte.“

Suzanne Peacock ist eine Frau, die immer alles in Frage stellt und mit so vielem einfach nur unzufrieden ist. Die Vierunddreißigjährige ist mit Neil verheiratet, der durch seinen Jobverlust bei einer Londoner Bank in eine Krise geraten ist. Der alltägliche Streit und die ewigen Sticheleien vergiften die früh geschlossene Ehe zunehmend. Suzanne weigert sich seit längerem schwanger zu werden, das mag möglichweise daran liegen, dass ihre Mutter, Athene, die erste Frau ihres Vaters, Douglas Fairley- Hulme, bei der Geburt gestorben ist. Zum anderen fühlt sich Suzanne nicht bereit für ein Kind, und je mehr Neil drängt, um so heftiger ist ihr innerer Widerstand. Die junge Frau scheint ihre innere Leere nur durch Einkäufe füllen zu können. Und so belastet sie die Kreditkarte der Kleinfamilie, was dazu führt, dass Suzannes Vater finanziell aushelfen muss. Hinzu kommt, dass Suzanne und Neil ihre Wohnung in London verkaufen und in ein Cottage auf dem Anwesen des Vaters in Dere Hampton ziehen müssen. Suzanne empfindet dies als extreme Demütigung, denn ihr Verhältnis zur in Dere gesellschaftlich sehr angesehenen und hart arbeitenden Familie ist zerrüttet. Suzanne kann die Liebe der zweiten Frau ihres Vaters, Vivi, nicht annehmen und sie fühlt sich ausgeschlossen, da ihr Halbbruder Ben das Familienerbe antreten wird.
Jojo Moyes erzählt nicht linear und so wissen die Lesenden vor Suzanne mehr über ihre Mutter als sie. Außerdem scheint es auch noch ein Familiengeheimnis zu geben, dass Suzanne ebenfalls betrifft. Die schillernde, sexuell sehr aktive Athene jedenfalls heiratete Douglas 1963 und bereits nach zwei Jahren war diese Ehe kaum mehr glücklich. Gehasst von Douglas Eltern, insbesondere von der Schwiegermutter Rosemary, erfüllte sie kaum die Erwartungen der Gutsbesitzerdynastie. Und so floh Athene mit irgendeinem Vertreter aus Dere, und dies sei schon mal verraten, übergab Douglas nach einiger Zeit ein Baby, Suzanne. Natürlich verweigert Rosemary, eine herrische, eigenwillige und für ihre neue Schwiegertochter Vivi absolut belastende alte Frau, Suzanne jegliche finanzielle Zuwendungen oder gar ein Erbe.
Nachdem Neil beruflich wieder auf die Beine gekommen ist, möchte Suzanne einen Laden in der Ortschaft eröffnen. Mit dem Versprechen, dass sie in einem Jahr bereit sein wird, ein Kind zu bekommen, stimmt Neil Suzannes Bitte zu. Suzanne, in der Hoffnung ihr Glück und endlich ein selbstbestimmtes Leben gefunden zu haben, stürzt sich auch mit Zweifeln in diese Aufgabe und hat schnell die junge Jessie Carter an ihrer Seite. Sie ist diejenige, die durch ihre kommunikative Art die Leute im Ort in den Laden hineinzieht. Doch auch die liebenswerte Jessie hat es nicht leicht, zumal ihr Freund Jason, Vater ihrer Tochter Emma, bei Konflikten gern zuschlägt. Und dann ist da dieser stille, wie sympathische Argentinier Alejandro de Marenas, der als Geburtshelfer an der hiesigen Klinik arbeitet und immer öfter mit Suzanne ins Gespräch kommt. Er erzählt aus der Ich-Perspektive von seinem Leben, von Suzannes und Vivis Alltag wird aus dem personalen Blickwinkel betrachtet. Denn auch Vivi kämpft innerhalb der Familie um ihr Lebensglück, gegen den langen Schatten von Athene und vor allem um ihre Beziehung zum verschlossenen Douglas, der in allem seiner Mutter nachgibt und sie einfach nicht mehr sieht.
Ein tragisches Unglück wird geschehen und die alte Mrs. Creek, die gern in den Laden von Suzanne kommt, um die Anwesenden zu nerven, wird ein Geheimnis ausplaudern, dass alle Ortsbewohner wissen, nur Suzanne nicht.

Interessante Frauenfiguren auf der Suche nach der wahren Bestimmung abseits vom Kinder bekommen und ihr Kampf gegen familiäre Traditionen und Klasseneinteilungen zwischen den Jahren 1963 bis 2001, darum dreht sich dieser leicht zu lesenden Roman, der unterhaltsam und mit Tiefe von wahren Familienkonflikten erzählt.