John Grisham: Feinde, Aus dem Amerikanischen von Bea Reiter und Imke Walsh-Araya, Heyne Verlag, München 2023, 544 Seiten, €24,00, 978-3-453-27420-4

Für ihn und Hugh war es vermutlich das letzte Bier, das sie zusammen trinken würden. Sobald Jesse Rudy seine Kandidatur bekannt gegeben hatte, würde der Konflikt zutage treten, und es würde kein Zurück mehr geben. Die Unterwelt würde zunächst vermutlich belustigt darauf reagieren, dass noch ein Politiker versprach, in Biloxi aufzuräumen, doch das würde sich sehr bald ändern.“

Die Region um die Golfküste von Mexiko mit Biloxi im Zentrum ist der Handlungsort dieser monumentalen Geschichte über das organisierte Verbrechen und den Kampf der demokratischen Kräfte gegen Drogenhandel, Prostitution, Betrug, Glücksspiel und Mord. Im Mittelpunkt stehen zwei Einwandererfamilien aus Kroatien, deren Großväter einst voller Hoffnungen mit sechzehn Jahren zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die USA kamen. Es sind die Familien Malco und Rudy, beider Familiennamen wurden amerikanisiert. Hart haben die Großväter gearbeitet, um ihre Familien zu ernähren und sie sind in den Zweiten Weltkrieg für ihr neues Land gezogen. Allerdings stehen die Oberhäupter beider Familien rechtlich gesehen sich feindlich gegenüber. Versucht Jesse Rudy, der schwer verletzt aus dem Krieg zurückgekehrt ist, über den Bildungsweg des Lehrers und später des Juristen ein ordentliches Leben zu führen, so landet Lance Malco auf der Seite des schnellen Geldes, der illegalen wie dunklen Geschäfte. Korrupte Politiker, insbesondere der Sheriff, aber auch bestechliche Polizisten erleichtern den Kriminellen die Führung der Bars mit Alkoholausschank wie den Verkauf der Mädchen in den Hinterzimmern. Die Söhne von Jesse und Lance, Keith und Hugh, wachsen fast gleichaltrig gemeinsam auf. Sie treiben gemeinsam Sport und teilen die Schulbank. Allerdings wird Hugh schnell in die Geschäfte des Vaters hineingezogen. Er wird als Boxer an Wettkämpfen teilnehmen und sehr früh mit Mädchen zusammen sein. Scheitert Jesse Rudy bei der ersten Kandidatur zum Bezirksstaatsanwalt, auch durch gemeine Fakenews, so gelingt es ihm beim zweiten Mal. Natürlich wissen die Rudys, dass sie mit heftigen Einschüchterungsversuchen der Kriminellen zu rechnen haben, doch Malco und seine Männer hält sich noch zurück. Wird Hugh immer mehr zum brutalen Verbrecher, so beginnt Keith ein Jurastudium, auch um seinem Vater zur Seite zu stehen.

In dieser linear erzählten Handlung entfaltet John Grisham über mehrere Jahrzehnte hinweg und anhand der Perspektive von verschiedenen Protagonisten beider Seiten ein gesellschaftliches Bild der USA in der Mitte des 20 Jahrhunderts. Jesse Rudy setzt sich als Vertreter des Gesetzes beharrlich gegen das organisierte Verbrechen ein und wird dies mit seinem Leben bezahlen. Alle Konflikte werden in seiner Prosa allerdings nicht auspsychologisiert. Hinsicht­lich des Innenlebens seiner Figuren bleibt er verschwiegen, aber die feinnervigen Beschreibungen der Außenwelt und des Verhaltens werden lesbar für Psychisches. Mühsam, Keith wird in die Fußstapfen des Vaters treten, gelingt den staatlichen Institutionen der Abbau der Korruption und die Eindämmung der kriminellen Aktivitäten.

Wie immer gelingt es John Grisham die Lesenden in seine präzise wie atmosphärische Prosa hineinziehen, den agierenden Figuren Leben einzuhauchen und einem großen gesellschaftlichen Drama gleich den Kriminellen den Kampf anzusagen. John Grisham hält diesmal ein bemerkenswertes Plädoyer für den Rechtsstaat, an den vielleicht nicht mehr so viele Menschen glauben. Die aktuellen Fälle zeigen, dass sogar ein Präsident für seine Verfehlungen vor aller Augen nicht gerichtet werden kann. Oder doch?