Jodie Chapman: Drei Schwestern, Aus dem Englischen von Leena Flegler, Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe, 480 Seiten, €17,00, 978-3-7645-0819-7
„Sie haben mich ausgeschlossen, weil sie mir nicht geglaubt haben, aber das ändert nichts an den Tatsachen. Und welchen Wert hat die Wahrheit, wenn sie nicht als solche erkannt wird? Wenn sie nicht anerkannt wird? Aber nein. Noch schändlicher, als eine Wahrheit nicht zu akzeptieren, ist gegen die Ältesten zu rebellieren.“
Isobel kann nicht fassen, dass ihre eingeschworene Gemeinschaft, der sie unendlich viel Zeit und Mühe, z.B. für den Predigtdienst geopfert hat, sie ausschließt. Und alles nur, weil jemand gesehen hat, wie sie sich mit einem fremden Mann in einem Restaurant getroffen hat.
Dass ihr eigener Ehemann Steven sie für eine achtzehnjähriges Mädchen von einem Tag auf den anderen verlassen hat, interessiert niemanden aus der Glaubensgemeinschaft, die in Ansätzen, ohne es je zu nennen, den Zeugen Jehovas ähnelt. Sie musste aus dem gemeinsamen Haus ausziehen, da Verträge und Zahlungen nur unter dem Namen ihres Mannes liefen und er Hypotheken aufgenommen hat, von denen sie keine Ahnung hatte. Sie muss sich nachdem sie jahrelang Hausfrau war und zwei Kinder großgezogen hat, ohne Rentenansprüche, mit Mitte fünfzig eine Arbeit suchen. Steven ist nach Südfrankreich abgehauen und sogar ihr eigener Lieblingssohn Patrick ächtet die eigene Mutter. Schwiegertochter Jude überredet ihren Mann, der Mutter endlich das Neugeborene zu zeigen. Frauen sind in religiösen Gemeinschaften offensichtlich nur zum Dienen da und für die Geburt des Nachwuchses. Es wird früh geheiratet und die Idee, dass Sex Spaß machen könnte, spielt keine Rolle. Auch Jen, die nach Jahren endlich schwanger wird, hat ihren Mann Pete nie geliebt. In ihrer Ehe fühlt sie sich seit ihrer Hochzeitsreise einsam. Die Gemeinschaft hat ihr Halt gegeben. Als sie dann jedoch ihr so sehr gewünschtes Kind Jacob tot zur Welt bringt und fast stirbt, bricht alles auseinander. Sie bekommt eine Bluttransfusion und ist nicht bereit, vor der Gemeinde zu bereuen. Plötzlich ist sie wirklich völlig allein und ohne Rückhalt, denn auch Pete wendet sich einer anderen Frau zu. Jen jedoch sehnt sich nach der Glaubensgemeinschaft und möchte unbedingt zurückkehren. Doch sie kann sich nicht durchringen, ihre Meinung vor den Ältesten, die ihre Anteilnahme nur heucheln, zu ändern.
„Bruder Steven Forge sitzt zurückgelehnt und mit ausgestreckten Beinen rechts von ihr. Er hat sein Tausend-Watt-Lächeln angeknipst und legt ihr die Hand auf die Schulter. Am liebsten würde Jen ihm die Finger abbeißen und sie auf den Teppich spucken.“
Auch Zelda gehörte zu den sogenannten Schwestern. Doch sie führt ein zügelloses Sexleben, nachdem sie die Gemeinschaft vor fünfzehn Jahren verlassen hat. Sogar ihre eigene Mutter spricht nicht mehr mit ihr. Niemand hat dem damals fünfzehnjährigen Mädchen geglaubt. Sie benötigt zwei Zeugen, um nachzuweisen, dass einer der Ältesten ( Lang bleibt es ein Geheimnis, wer es war. ), sie vergewaltigt hat. Vor Männern muss die mutige Zelda, damals noch Alice, jedes Detail des sexuellen Übergriffs offenbaren. Dass ihr niemand richtig zuhört, erschüttert ihren Glauben an alles, woran sie je geglaubt hatte. Fehltritte der Männer werden in Glaubensgemeinschaften wohlwollend übersehen, die Frauen jedoch müssen tiefe Buße tun.
Um so hoffnungsvoller liest sich dieser Roman über drei Schwestern im Geiste, die nach ihren Erfahrungen mit der nicht vorhandenen Nächstenliebe ihrer eigenen religiösen Gemeinschaft wissen, dass sie sich nur auf sich selbst und ihre eigenen Kräfte stützen können.
Alle drei Schwestern werden sich im Laufe der Handlung begegnen und es wird zu vielen auch schmerzhaften Gesprächen kommen. Jede befragt sich selbst, was die Glaubensgemeinschaft für sie getan hat und warum sie an den Bibeltexten festhalten oder sich distanzieren.
Jodie Chapman erzählt ihre bewegende Geschichte über drei Frauen, die sich durch schmerzliche Erfahrungen selbst kennenlernen und den Kopf immer oben behalten, auch gespeist aus eigenen familiären Erfahrungen bei Jehovas Zeugen.