Adriana Stern: Jockels Schweigen, Jacoby & Stuart Verlagshaus, Berlin 2011, 318 Seiten, €14, 95, 978-3-941787-26-1
„ Das Gesicht des Menschen bleibt unsichtbar. Ich sehe die Seele meines kleinen Bruders vor meinen Augen zerbrechen.“
Der 16-jährige David und ist mit Jewdokin, den die einen Jeff nennen, aber auch Chip, befreundet. Beide sind Juden und leben in Köln. Chip ist ein exzellenter Computerprogrammierer, David liefert die Ideen. Sie sind ein Team und doch schieben sich zwischen diese Freundschaft immer wieder ungeklärte Fragen, die Chip nicht beantworten will und aggressiv reagiert. Woher hat Chip so viel Geld? Wie kann es sein, dass er seinem Vater, der einen Billardsalon betreibt, immer den Rücken freihält? Vor fünf Jahren kam die Familie Sapoznikow aus Russland nach Berlin. Als Juden wurden sie nicht anerkannt, da Chips Mutter Christin ist. Den schweren Anfang erleichtert der Familie der Vermieter Herr Kirsch und alles läuft bestens dank Chips sprachlicher Vermittlung. Doch warum hat Chip solche Furcht vor Herrn Kirsch und warum will er nicht, dass Davis kleiner Bruder Jockel zu dieser Agentur geht, um seinen Herzenswunsch Schauspieler zu werden, wahr machen kann? Chip weiß, dass diese angebliche Agentur von Kirsch geleitet wird.
Als dann Davids Mutter wieder ihrer Arbeit nachgeht, der Vater als Narkosearzt einen schweren beruflichen Fehler begeht und niemand sich so richtig um die Kinder kümmert, beginnt das Drama. David unterzeichnet das Aufnahmeformular, gegen den Willen der Eltern, für die Agentur und Jockel gerät in die Fänge eines Pädophilenringes. Der Junge verändert sich in seinem Verhalten, wirkt unberechenbar aggressiv, meidet bestimmte Speisen und reagiert auf Berührungen äußerst schreckhaft. Nach und nach verlieren die Eltern den Kontakt und spüren, wie weit weg ihr Kind ist.
David steht zwischen allen Fronten. Chips Verhaltensmuster sind schwer zu durchschauen. Er schwankt zwischen seiner verhassten Aufgabe, Kirsch Jungen im entsprechenden Alter zuzuführen, eigenen Verletzungen und der Verantwortung für den Vater. Chip wendet sich von David ab und auch Jockel reagiert rüde und aggressiv gegen ihn. Es ist die Angst, dass David ahnen könnte, welches schreckliche Geheimnis er hüten muss. Zwar bemerken Eltern und Schule, dass irgendetwas nicht stimmt, finden aber keine Antworten. Jockels Lügen sind zu durchsichtig und plakativ als dass die Mutter sie glauben kann und doch ist sie hilflos.
Aus zwei Perspektiven erzählt Adriana Stern Jockels Geschichte. Zum einen lernt der Leser Chip und seine Art zu denken kennen und zum anderen berichtet David aus seinem Blickwinkel von den Geschehnissen. Realistisch und deutlich wird berichtet, wie der Pädophilenring und deren Drahtzieher ( die Geschehnisse gehen auf eine wahre Begebenheit 2008 in Berlin zurück ) die Jungen anlockt und sie dann mit Schuldgefühlen gefügig macht.
Der Balanceakt zwischen der Darstellung einer psychologisch überzeugenden Handlung und unmissverständlicher Aufklärung über sexuellen Missbrauch ist nur teilweise gelungen. Vieles wirkt einfach nur konstruiert und viele Überschneidungen in der Handlungsführung sind doch sehr zufällig. Aber eines muss man „Jockels Schweigen“ zugute halten, das Jugendbuch klärt mit aller Deutlichkeit auf, wie es geschehen kann, dass Jungen sexueller Gewalt ausgeliefert sind.
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