Katherine Webb: Italienische Nächte, Aus dem Englischen von Katharina Volk, Diana Verlag, München 2015, 544 Seiten, €19,99, 978-3-453-29173-7
„Dieser Mann trug großen Kummer in sich, aber Kummer war zumindest etwas das sie wiedererkannte. Das namenlos Grauen hingegen, der Sprung in seiner Seele, der sich immer weiter auftat, war ihr zuvor noch nie begegnet.“
Apulien, Sommer 1921 – Clare Kingsley wollte eigentlich den Sommer ruhig mit ihrem fünfzehnjährigen Stiefsohn Pip, eigentlich Philip, in London verbringen. Aber nun hat ihr Mann Boyd beide nach Apulien eingeladen. Er arbeitet als Architekt für den reichen Italiener Leandro Cardetta, der aus New York in seinen Heimatort an die Stiefelspitze Italiens zurückgekehrt ist. Clares Ehe mit Boyd wurde von ihren Eltern arrangiert. Er ist bedeutend älter als sie und hat seine erste Frau Emma durch eine Infektion verloren. Als Clare und Boyd sich kennenlernen, sitzt der Schmerz um den Verlust immer noch tief. In vielen Phasen ihrer bisherigen Ehe ist Boyd für Clare ein Rätsel. Sie spürt seine Unsicherheit, seine Depressionen, sein Gier nach Alkohol. Immer wieder betont Boyd wie sehr er seine Frau braucht und doch fühlt sich Clare nie unbeschwert mit ihm. Ihr Kinderwunsch, auch wenn sie sich gut mit Pip versteht, wird von Boyd vehement abgelehnt.
Als Clare in Apulien ankommt, spürt sie sofort, dass etwas nicht stimmt. Aber nicht nur Boyds melancholische Stimmung, sein verunsichertes Wesen jagen ihr Angst ein, auch die Umstände ihres Aufenthaltes sind undurchsichtig. Cardettas amerikanische, kontaktfreudige Frau Marchie ist Clare sofort sympathisch. Er allerdings scheint jemand zu sein, dem niemand etwas abschlagen kann oder darf.
Die Stimmung im Ort wirkt bedrohlich, denn die bitterarmen Tagelöhner beginnen sich langsam gegen den reichen Landadel aufzulehnen. Dieser rekrutiert faschistische Schläger, die gegen die Arbeiter und Gewerkschafter brutal vorgehen.
Als Clare und Pip sehen wie ein Mann auf der Straße fast totgeschlagen wird, will sie unbedingt abreisen. Aber Cardetta und Boyd verbieten es ihr. Clare beginnt langsam, wie sagt aufzuwachen. Irgendeine Abhängigkeit besteht zwischen ihrem verschlossenen Mann und diesem italienischen Emporkömmling, den der Adel der Umgebung meidet.
Cardetta bittet Clare zu bleiben, Boyd erzählt seiner Frau, dass Cardetta als er ihn 1914 in New York kennenlernte, ein Mafiosi war.
Entfernt von den Unruhen und sich anbahnenden Bürgerkrieg in der Stadt verbringen Clare, Pip und Marcie den extrem heißen Sommer in masseria, einem Landsitz der Familie. Unbarmherzig scheint die Sonne, der Staub Apuliens kriecht bis in die Unterwäsche.
Parallel zu Clares Geschichte erzählt die britische Autorin Katherine Webb von der Landbevölkerung, ihrer Armut und ihrem Hunger. Ettore Tarano ist der Neffe von Cardetta, will mit ihm aber nichts zu tun haben. Als Ettore schwer am Bein verletzt wird, muss er sich in masseria in seine Obhut begeben. Mit Ettore kann sich Clare etwas auf Italienisch unterhalten. Sie fühlt sich ihm nahe, sicherer als bei Boyd, dessen zeitweilige Umnachtung seiner Seele sie immer mehr auf Distanz hält.
Ettore und Clare verlieben sich. Immer mehr steuert die Geschichte auf eine Katastrophe zu, denn die Tagelöhner beginnen ihre Ausbeuter zu überfallen und auszurauben.
Als Clare die ganze Wahrheit über Cardetta und ihren Mann erfährt, muss sie, die auf dieser Reise ihre Ängstlichkeit und Abhängigkeit von ihrem Mann abgelegt hat, sich entscheiden, wie ihr Leben weitergehen soll.
Katherine Webb beschreibt in ihrem Roman Gewalt in unterschiedlichen Erscheinungsformen, aber sie erzählt auch von einer jungen Frau, die sich emanzipiert und an Statur gewinnt.
Spannend, sprachlich überzeugend und atmosphärisch dicht!
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