Dilek Güngör: Ich bin Özlem, Verbrecher Verlag, Berlin 2019, 157 Seiten, €19,00, 978-3-95732-373-6
„Sie sind gegen mich, alle hier am Tisch, sie unterscheiden zwischen sich und den Türken und Arabern und es ist klar, wohin sie mich sortieren.“
Özlem heißt die neununddreißigjährige Ich-Erzählerin, die in diesem schmalen Band von ihren Erfahrungen, aber auch Zweifeln und einer wahren Lebenskrise erzählt. Immer wieder musste sie auch als Kind erleben, dass ihr Türkischsein in ihrer Wahrnehmung als negativ beurteilt oder auch argwöhnisch betrachtet wurde. In Rückblenden erinnert sie sich an Momente im Bus, wo Kinder andere Kinder als „Kümmeltürken“ bezeichnen und signalisieren, sie würden nach Knoblauch stinken. Noch heute, wenn sie ihr Essen für Gäste gekocht hat, zieht sie nicht nur die Schürze aus, sondern wäscht sich und kleidet sich neu.
Özlems Eltern kamen als Fabrikarbeiter nach Schwäbisch Gmünd, sie haben mehr oder weniger gut Deutsch gelernt, ein Häuschen erstanden und gewusst, sie bleiben. Jegliche Erinnerungen an die Türkei stammen von Urlaubsbesuchen, die vordergründig nicht unbedingt als positiv wahrgenommen wurden. Als Özlem Philipp kennenlernt und schwanger wird, möchten ihr Vater und ihre Mutter, beide sind nicht religiös, dass sie den Deutschen heiratet. Nur selten kauft Özlem bei türkischen Gemüsehändlern ein, sie mag diese seltsame Vertrautheit nicht und auch die neugierigen Fragen, woher sie denn komme oder wer ihre Eltern seien. Sie spricht nie mit ihren Kindern wirklich ausdauernd Türkisch. Sie lädt ihre Freunde ein, kocht und brät und gibt sich Mühe extrem gastfreundlich zu sein, da sie es so gelernt hat, dabei arbeitet sie gar nicht gern in der Küche. Da sie aber türkischer Herkunft ist, glaubt sie, alle erwarten das. Natürlich weiß sie, was Freiheit, Säkularismus, Toleranz und Demokratie bedeuten und doch fragt sie sich, warum sie als Türkin mit deutschem Pass immer zwischen den Stühlen sitzt, warum eine französischer Akzent sympathisch ist als das Türkische.
Özlem kann nicht sagen, ich bin Deutsche. Wenn Menschen ihren Vornamen hören, stellen sie Fragen, zumal sie ihre Kinder Emilia und Jakob genannt hat. Immer wieder erwischt sich Özlem dabei, dass sie bei Vorstellungsrunden oder auf Partys sofort sagt, dass ihre Eltern aus der Türkei kommen. Bei der Suche nach ihrer Identität stolpert sie ständig über die pauschalen, undurchdachten Äußerungen in ihrer Umgebung. Ist sie früher über diese Anmaßungen, die über Ausländer formuliert wurden, stillschweigend hinweggegangen, so spürt sie jetzt Wut, wenn einfach so in Gesprächsrunden gesagt wird, dass man natürlich sein Kind auf eine Schule schicken möchte, in der nicht so viele Araber und Türken angemeldet werden.
Als Deutschtrainerin für die Anfängerstufe A1 hat sie ein Gefühl für die deutsche Sprache, hat sich intensiv mit den Ursprüngen und den Strukturen beschäftigt. Wenn sie ein Lehrbuch in der U-Bahn aus der Tasche holt, lebt sie in der Angst, die Mitfahrenden könnten glauben, sie könne kein Deutsch sprechen.
„Das Gefühl, nicht dazuzugehören, ist mein treuer Begleiter geworden. Du bist nicht wie die anderen und darum verkehrt, das war für mich der logische Schluss.“
Handelten realitätsnahe Lebensrückblicke von türkischen Autorinnen früher eher von der enormen Distanz zwischen den Türken, die aus Dörfern stammten, und den „Ungläubigen“, den Deutschen, wo es kaum Schnittstellen geben konnte, so hat sich das im Laufe der Zeit verändert.
Doch warum hadert Özlem, die nur durch ihren Vornamen auffällt, so mit ihrer vorgeblichen Außenseiterposition in der deutschen Mehrheitsgesellschaft? In einem hässlichen Streit mit ihren deutschen Freunden, alle machen gemeinsam Urlaub auf Usedom, kochen diese Konflikte hoch und Özlem versteigt sich, bedingt vielleicht auch durch den konsumierten Alkohol, in eine harsche Kritik. Sie ist der Meinung, sie würde förmlich gezwungen sich immer für eine Seite zu entscheiden, und zwar die der ständig kritisierten Türken in Deutschland, obwohl sie ja Deutsche ist. Sie ist der Meinung, dass ihre deutschen Freunde ihren inneren Konflikt nicht verstehen können und immer sozusagen ohne Anstrengung auf der Sonnenseite stehen.
Als die Freunde ihr klarzumachen versuchen, dass sie in ihr gar nicht die „Migrantin“ oder „Außenseiterin“ sehen, die sie immer hervorkehrt, beginnt für Özlem ein Umdenkungsprozess.
In gewisser Weise spiegelt Dilek Güngör den Zeitgeist und die Position der Männer und Frauen, die als Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland mit einem deutschen Pass leben und immer das Gefühl vermittelt bekommen, sie gehören nicht dazu, sie sind einfach keine „richtigen“ Deutschen. Allerdings bemerkt Özlem selbst, dass sie diese spezielle Erfahrung noch nie gemacht hat. Und doch, innerhalb der Gesellschaft vollzieht sich momentan eine Spaltung, die viele Menschen nichtdeutscher Herkunft vor Jahren gar nicht gespürt haben. Plötzlich ist sie wieder da, dieses unterscheiden zwischen WIR und IHR, d.h. diejenigen, die doch eigentlich konfliktfrei integriert sind, eine interessante Arbeit haben und gern hier leben, werden zu den „Ausländern“.
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