Clay Carmichael: Ich bin kein anderer, Aus dem Englischen von Birgitt Kollmann, Carl Hanser Verlag, München 2015, 320 Seiten, €15,99, 978-3-446-24743-7
„Dieser Ort, diese Familie, ihre Familie war ein gottverdammtes Minenfeld. Man musste sich nur einmal umdrehen, schon war ein Geheimnis explodiert, eine Halbwahrheit oder eine glatte Lüge. Eine nach der anderen. Und diese Explosionen waren nicht so schön wie die des eben verlöschenden Feuerwerks.“
Der 17-jährige Bruder, der eigentlich Billy heißt, ist bei seiner in einfachen Verhältnissen lebenden Großmutter Mem aufgewachsen. Bruder hat die Schule beendet und arbeitet nun mit seinem Freund Cole in einem Altenheim. Als Bruder drei Jahre alt war, hat ihn seine noch sehr junge Mutter bei Mem abgegeben und kurz danach ist sie bei einem Unfall ums Leben gekommen. Mem hatte sich als sehr junge Frau ebenfalls in einen Billy verliebt, er war der Bruder des heutigen Senators Grayson. Doch dieser Billy, so Mems Information, kehrte nicht mehr aus dem Vietnam-Krieg zurück.
Mehr weiß Bruder nicht über seine Familie, aber als Mem stirbt, findet Bruder einen Zeitungsausschnitt mit seinem eingerahmten Foto. Klar jedoch ist, dass er nicht auf diesem Foto zu sehen ist, sondern sein Zwillingsbruder.
Gabriel Gideon Grayson III. ist der Adoptivsohn von Senator Grayson, der als ziemlich kaltherzig und skrupellos überall verhasst ist. Eine weitere Wahl steht an und Grayson kann keine störenden Skandale, die Gabriel mit seiner Drogensucht verursacht, gebrauchen.
Ziemlich allein und immer noch traurig über den Tod seiner Großmutter begibt Bruder sich mit seinem Hund Trooper auf die Suche nach seinem anderen Teil der Familie und muss auch noch den fünfjährigen Jack mitnehmen. Jack und Cole sind Brüder, die ebenfalls keine Eltern mehr haben, ein Verbindungselement zwischen den Freunden. Auf dem Weg zur Insel in North Carolina, auf der die Familie von Gabriel ihr Domizil hat, trifft Bruder auf Kid. Kid kümmert sich um Bruders liegengebliebenes altes Auto und anfänglich ist sie eher von Trooper, der einem Kind das Leben gerettet hat, begeistert als von Bruder. Aber das soll sich im Laufe der Geschichte doch ändern. Bruder ist ein aufmerksamer junger Mann, der sich rührend um Jack kümmert und sauer auf Cole ist.
Bruder hat keine Ahnung, wie er sich Senator Grayson und vor allem seinem Bruder Gabe nähern soll. Lucy, die Stiefschwester von Gabe, nimmt ihm die Entscheidung ab und quartiert ihn erst mal in einem Strandhaus ein. Als Cole und Kid dann auftauchen, klären sich ein paar Probleme, aber Bruder erkennt auch, dass er nicht gerade entscheidungsfreudig ist. Er lässt alles immer irgendwie laufen.
Die Begegnung mit Senator Grayson ist dann wirklich mehr als unangenehm. Bruder erfährt, dass seine Mutter, angeblich drogenabhängig, Gabe dem Senator verkauft hat.
Später wird Bruder erfahren, dass das nur die halbe Wahrheit, wenn nicht sogar eine Lüge ist. Eden nennt sich der Landsitz des Senators, eigentlich müsste er Hölle heißen, denn Bruder wird nach und nach hinter die Familiengeheimnisse gelangen und erkennen, wie gut sein Leben, auch ohne finanziellen Wohlstand, bei Mem war.
Schwarz-weiß und zu eindimensional zeichnet die amerikanische Autorin Clay Carmichael ihre Figuren in dieser doch brisanten Identitätsgeschichte und kommt übers anekdotische Erzählen nicht hinaus. Bruder, Nomen est omen, kann es selbst nicht fassen, dass er es nicht geahnt, gespürt hat, dass ein Zwilling existiert. Auf der einen Seite der Verwandtschaft ist nun der gut betuchte, aber emotional verbitterte Senator und seine ziemlich fehlgeschlagene Erziehung von Gabe, dem arroganten, Drogen konsumierenden Zögling ohne Anstand. Auf der anderen Seite agiert der freundliche, wohlerzogene und arbeitsame Bruder. Gabes Rückblicke und Erinnerungen sind da schon klarer, seine offensichtliche Kindheit ohne Verständnis oder gar Liebe denkbar. Ein wirkliches Gefühl für das Schicksal der beiden getrennten Brüder stellt sich nicht ein. Bruder gelangt bei seiner Suche auch in der Vergangenheit hinter die Geheimnisse der Familie, kann aber die Zeit für seine Großmutter nicht mehr zurückdrehen. Er lässt sich von der Macht und den Privilegien der neuen Verwandtschaft nicht korrumpieren und er will auf gar keinen Fall zu dieser Familie gehören, die ihn nur unter Druck setzen würde und die Wahrheit für sich so drehen, wie es ihr gefällt. Am Ende bahnt sich eine vorsichtige Annäherung der Geschwister an. Ob sie jedoch je einen Draht zueinander finden werden, bleibt offen.
Schreibe einen Kommentar