Tessa Hadley: Hin und zurück, Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit, Kampa Verlag, Zürich 2021, 365 Seiten, €22,00, 978-3-311-10056-0
„Er nutzte ihre Zweifel nicht aus; sie berührte etwas in ihm, das er erwiderte. Außerdem faszinierte ihn natürlich ihr Aussehen; er konnte nichts dafür, und sie konnte nichts dafür, dass sie ihn weiterhin faszinierte.“
Es dauert ziemlich lang, ehe er, Paul, und sie, Cora, einander finden und auch wieder verlieren. Tessa Hadley umkreist in ihrer wunderbaren Sprache mit verblüffender Detailversessenheit zuerst die beiden Protagonisten ausführlich, ehe sich beide in einem Zug kennenlernen.
Paul lebt mit seiner zweiten Frau, Elise, und zwei Töchtern in Wales, in Tre Rhiw auf dem Land. Sein Metier ist die Sprache, er ist Übersetzer, schreibt Radiofeature, rezensiert, ist Sprachtrainer und Autor eigener Werke. Durch den Tod der Mutter Evelyn, die schon leicht verwirrt war, rutscht er in eine Krise. Er träumt immer wieder von seiner Kindheit und kann sich so gar nicht auf die Arbeit konzentrieren. Seine erste Frau Annelies arbeitet in London. Beider Tochter Pia, mittlerweile zwanzig, ist verschwunden und Annelies ist verzweifelt.
Paul konnte nie einen wirklichen Kontakt zu Pia aufbauen. Sie erschien ihm kaum begabt, stur, launisch und an allem, was ihn bewegte völlig desinteressiert. Pia hat in der Zeit, die sie beim Vater verbrachte, eine Freundschaft mit dem gleichaltrigen Nachbarsjungen aufgebaut, eine Seelengemeinschaft. Paul schafft es Pia telefonisch zu überreden, sich mit ihm zu treffen. Sie hat ihr Studium aufgegeben, jobbt in einem Café und lebt mit dem leicht ominösen Polen Marek zusammen. Paul besucht Pia in ihrer Wohnung und erlebt ein völlig apathische, junge Frau, die den Tag verschläft, offenbar mit Marek Marihuana raucht und irgendwie völlig verunsichert scheint. Sie verdonnert ihren Vater zum Schweigen. Marek lässt Pia nicht eine Sekunde aus dem Auge, auch Anna, seine Schwester, kümmert sich um Pia. Paul sorgt sich sehr um seine Tochter, findet Anna attraktiv und schläft in der kleinen Wohnung bei Pia. Elise ärgert sich über Paul, der einfach verschwindet. Dann wird klar, dass Pia schwanger ist und Paul hat noch mehr Gründe, bei der Tochter zu bleiben.
Alle Zukunftsfantasien, die Marek hegt, scheinen irgendwie nicht sehr seriös. Aber Paul fährt für ihnen einen Lkw und scheint sich, an den künftigen Schwiegersohn zu gewöhnen.
Aber dann kippt die Geschichte um Paul, Elise, Annelies und Pia und Paul kehrt in sein altes Leben zurück.
Szenenwechsel: Ein Haus in Cardiff. Hier lebt Cora, die sich nach zwölf Jahren kinderlos von ihrem steifen, korrekten, aber eigentlich auch liebenswerten Mann Robert, einem hohen Beamten im Innenministerium getrennt hat, einen neuen Job in der Bibliothek angenommen hat und nicht so richtig weiß, wie es weitergehen soll. Cora hat das Haus ihrer Eltern nach deren Tod geerbt und ausgebaut. Ursprünglich wollte sie es verkaufen.
Tessa Hadley springt nun in der Zeit. Cora und Paul haben einen heftige Affäre zeitlich gesehen vor vier Jahren. Beide Personen kennen die LeserInnen, wenn sie sich begegnen. Es ist die alte Geschichte, allerdings immer wieder neu erzählt wird. Wie wirken Menschen von außen und wie sind sie wirklich, wenn man sie kennenlernt? Es geht um Verrat, aber auch Verantwortung. Cora ist von Paul schwanger, da hat auch schon Elise erkannt, dass ihr Mann fremdgeht.
Wer gehört zu wem? Es gibt eine Hinwendung in ein anderes Leben und doch führt der Weg aller Protagonisten wieder zurück.
Tessa Hadley nimmt ihre Leser in ihren ganz eigenen Kosmos mit, man glaubt, die Figuren vor dem eigenen Auge zu sehen, so gut sind sie beschrieben, ob es nun um Äußerlichkeiten geht oder deren Innenleben.