Stewart O’Nan: Henry persönlich, Aus dem Englischen von Thomas Gunkel, Rowohlt Verlag, Hamburg 2019, 480 Seiten, €24,00, 978-3-498-00121-6
„Sie hatten Geld, doch ums Geld würde er sich immer Sorgen machen. Allzu sehr konnte ein Mensch sich nicht ändern.“
Wer Stuart O’Nans Schreiben verfolgt hat, weiß, dass eines seiner Bücher „Emily, allein“ heißt. Emily Maxwell ist die Ehefrau von Henry, der allerdings in ihrer Geschichte bereits verstorben ist. Nun hat der amerikanische Autor sich auf Henrys Tage im Ruhestand konzentriert. Henry hat als Ingenieur gearbeitet und werkelt unheimlich gern im Haus und im Garten. Allerdings ist er übergewichtig und mittlerweile 74 Jahre alt. Mit ihrem altersschwachen Hund Rufus könnte das alte Ehepaar recht sorglos in seinem Haus in Pittsburg wohnen, wäre da nicht der Kummer um die Tochter Margaret, die offenbar nicht mehr alkoholabhängig ist, sich aber von ihrem Mann Jeff trennen wird. Ein ganzes Jahr beobachtet Stewart O’Nan alles, was die tatkräftige und manchmal etwas herrische Emily, die jeden Tratsch kennt und der gutmütige Henry so in ihrem Alltag treiben, ob sie nun den Einkauf mit ihren Gutscheinen bewerkstelligen, Emilys Schwester Arline zu allem mitnehmen, Ostern oder Thanksgiving feiern oder im Sommerhaus mit der Familie alles auf Vordermann bringen. Leider versteht sich Emily so gar nicht mit ihrer Schwiegertochter Lisa, Kennys Frau, aber sie liebt die Enkelkinder über alles.
Die Zeit plätschert so vor sich hin und immer wieder erinnert sich Henry an seinen Vater und wie er als alter Mann gehandelt und ausgesehen hat. Als Emilys beste Freundin Louise eine Knie-OP hat, lässt Emily Henry allein und kümmert sich. Henry fühlt sich ohne Emily ziemlich einsam, braucht sie und liebt sie, obwohl er sich an ihre extremen Stimmungsschwankungen auch nach achtundvierzig Jahren Ehe nicht gewöhnt hat.
Detailgenau, ohne zu langweilen, beschreibt Stewart O’Nan jede Bewegung und jeden Gedanken von Henry. Akribisch hält er jede unscheinbare Tätigkeit des banalen Alltagslebens fest – von der Zubereitung des Kaffees, des Erbsenpürees bis zum Einsetzen von Frühlingszwiebeln – und malt dabei ein Genrebild des ökonomisch gefährdeten Mittelstands.
„An trägen Sommernachmittagen, wenn sich die Hitze und der Geruch von heißer Teerpappe im Dachgebälk sammelten, blickte Henry von seinem jeweiligen Tagesprojekt auf, um die Richtigkeit des Lebens zu genießen und vor sich hin zu nicken, als wäre es ein Geheimnis. Irgendwie war es das auch.“
Zu gern folgt man all seinen bedächtigen Handlungen, seinen Sorgen um die Familie und das liebe Geld. Vielleicht besticht die Ruhe, Beständigkeit und vor allem Normalität dieses Lebens den Leser.
Siehe auch – Stewart O’Nan: Emily allein