Marian De Smet: Hendrik zieht nicht um, Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann, Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2019, 123 Seiten, €12,95, 978-3-8369-5624-6
„Aber was sollen wir jetzt machen?“
Kinder hassen jegliche Veränderungen und wehren sich vehement dagegen. Der Ich – Erzähler Hendrik ist acht Jahre alt und hat einen allerbesten Freund, Berkan. Beide wohnen fast Tür an Tür und gehen in die gleiche Klasse. Alles ist wunderbar, wären da nicht die Umzugspläne von Hendriks Eltern. Neben Hendrik ist da noch sein kleiner Bruder und ein neues Baby. Für die Familie wird ihr Haus zu klein und Hendriks Eltern haben auch schon ein geräumiges Haus gekauft, allerdings am anderen Ende der Stadt. Hendrik weiß, dass der große Bruder von Berkan ihn vielleicht einmal oder zweimal zu Hendrik bringen würde, aber dann würden sie sich nicht mehr sehen, denn Hendrik muss auch noch die Schule wechseln.
Hendrik packt seinen Koffer und sagt seinem Vater, dass er nun bei Berkan wohnen wird. Aber die türkische Familie hat selbst nicht genug Platz und Berkan soll nach einigen Umbauten für die vielen Geschwister demnächst sogar bei der Urgroßmutter im Bett schlafen.
Die Jungen sind verzweifelt und beschließen gemeinsam abzuhauen.
Ihre Odyssee beginnt völlig ungeplant. Mit dem riesigen Koffer, der einfach zu schwer ist, plagen sie sich nur kurz ab. Sie haben kein Geld und schleichen sich einfach in ein Schülerkonzert, wo es Häppchen gibt. Sie lernen in einer Kirche Pia kennen, ein iranisches Mädchen, dessen Vater in den Hungerstreik getreten ist, damit er offizielle Papiere bekommt und in Belgien bleiben darf.
Und dann retten die drei auch noch einen kleinen Hund aus dem Fluss.
Riesig groß ist dieses Abenteuer, in dessen Verlauf zum Glück hilfsbereite Menschen helfen. Hendrik verspricht in seiner kindlichen Einfalt dann auch noch Pia das neue Haus seiner Eltern. Die Idee steckt dahinter, wenn Pias Familie darin wohnt, dann kann seine Familie ja nicht umziehen, so Hendriks Hoffnung.
Marian De Smet hat diese Geschichte im Präsens geschrieben, der Leser ist sozusagen live dabei. Glaubwürdig und ohne falsche Sentimentalität versetzt sich die belgische Autorin in die Psyche und Gedankengänge ihrer jungen Protagonisten. Wir wissen, Hendrik hat es gut, er wird ein eigenes Zimmer haben und es nicht mit den Geschwistern teilen müssen, und er hat Eltern, die sich um sein Wohlergehen kümmern.
Berkan und Pia haben auch Eltern, die sich um sie sorgen, aber sie können ihnen nicht das bieten, was Hendrik haben kann. Aber das interessiert den Jungen gar nicht, er will seinen Freund nicht verlieren und glaubt, durch die Weglaufaktion etwas in seinem Sinne zu verändern. Im naiven Glauben, Pia etwas Gutes zu tun, verschenkt er einfach das neue Haus. Als der Vater ihm erklärt, das das so nicht funktioniert, versteht er dies auch. Und doch, die kindlichen Gedankengänge und die wahre Verzweiflung der Kinder, die am Ende gar nicht mehr wissen, wohin sie eigentlich wollen, liest sich überzeugend.
Und dann findet sich doch eine Lösung: Hendriks Eltern versprechen dem Jungen, dass er weiterhin mit Berkan in eine Klasse gehen kann.
Pias Schicksal bleibt offen. Fast zum Trost kann sie den Hund behalten. Ob Berkan sein Zimmer künftig wirklich mit der Uroma teilen muss, wird nicht gesagt.
Die belgische Autorin Marian De Smet bleibt in ihrer wirklichkeitsnahen Handlung im Rahmen des real Möglichen und das heißt, ein positives Ende, in dem alle Wünsche der Kinder erfüllt werden, wäre auch ein falsches.
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