Fran Kimmel: Hannahs Gefühl für Glück, Deutsch von Britte Mümmler, Deutscher Taschenbuch Verlag premium, München 2020, 349 Seiten, €15,90, 978-3-423-26241-5
„Seit er wieder hier wohnte, fühlte er sich, als lebte er in einem Museum seiner Eltern, mit einem noch als Gespenst anwesenden Vater und einer toten Mutter. Er hatte Ellie nie eingestanden, dass er den Mann und dieses Haus hasste. Er hatte nicht widersprochen, als sie auf die Idee kam, hierherzuziehen.“
Eric Nyland hat seinen Job als Polizist, den er liebte, aufgegeben, um mehr Zeit für Ellie und die Kinder, Sammy und Daniel, zu haben. Jetzt arbeitet er in seiner Heimatstadt Neesley bei einer Sicherheitsfirma und ist ziemlich gefrustet. Eigentlich sollte er jetzt kurz vor Weihnachten einen Baum für die Festtage schlagen, aber irgendwie kam immer etwas dazwischen. Ellie, bei der immer alles perfekt sein soll, verfällt gerade um die Weihnachtstage in Depressionen, denn sie trauert ihren Fehlgeburten hinterher. Dabei hat sie nun Sammy, der allerdings mit seinen sieben Jahren ein schwieriges Kind ist. Er tickt schnell aus, erträgt keine Unregelmäßigkeiten und vor allem keine Fremden in seiner Nähe. Die Schule ist für ihn der Horror. Der kanadische Winter ist in diesem Jahr mit mehr als -25°C extrem kalt. Als Eric im Schneesturm ein Mädchen auf der Straße entdeckt, versucht er ihm zu helfen. Hannah trägt Turnschuhe, zerschlissene, alte und schmutzige Sachen und ist ohne Winterjacke unterwegs. Eric erfährt, dass sie seine Nachbarin ist und bei Nigel Wilson wohnt, dem letzten Lebensgefährten ihrer Mutter, die verstorben ist. In einem kurzen Gespräch mit Nigel, den Eric noch aus Kinderzeiten kennt, wird klar, der miese Kerl hat sich nicht geändert.
Einer Eingebung nach, Eric ist mit Dan endlich auf dem Weg zum Baumschlagen, schaut Eric nochmals nach Hannah und findet sie in einem schrecklichen Zustand. Kurzerhand bringt er das unterernährte Kind ins Krankenhaus und verständigt die herzensgute Betty Holt vom Jugendamt. Über die Weihnachtstage kann sie so schnell keine Pflegefamilie finden und bittet nun Eric darum, die Zwölfjährige für ein paar Tage aufzunehmen. Ellie ist absolut dagegen, denn sie hat Angst, dass Sammy mit dem Gast nicht klarkommen würde. Nach einer kurzen Auseinandersetzung besinnt sich Ellie jedoch und gibt immer noch mit sich hadernd ihre Zustimmung.
Immer wieder aus neuen Perspektiven, mal aus Hannahs Sicht, dann wieder aus Erics, Ellies oder Dans Blickwinkel erzählt die kanadische Autorin ihre Heilungsgeschichte.
Daniel freut sich, dass Hannah bei ihnen ist, denn er sieht das Leid des Mädchens. Sammy hat seine typischen Anfangsprobleme, grenzt sich ab und igelt sich ein. Doch Hannah hat eine wunderbare Singstimme, diese scheint ihn aus seiner inneren Höhle herauszulocken. Das Mädchen ist es gewohnt, nicht aufzufallen und so benimmt sie sich sehr vorsichtig und hilft Ellie in der Küche, um sich nützlich zu machen. Ellie sieht, dass Hannah keine sauberen Sachen hat, vieles ist ihr viel zu klein und zu dünn. Hannah wirkt viel älter als zwölf und ist Ellie vom ersten Moment an sympathisch, und doch will sie sich nicht auf das vom Schicksal hart geschlagene Kind einlassen.
Eric weiß, dass Ellie Sammy viel zu sehr bemuttert und staunt über Ellies Kälte dem Mädchen gegenüber, dass nichts falsch machen möchte. Als Ellie mit Dan in die Stadt fährt, um Geschenke zu kaufen, sorgt sich Ellie nur um ihren jüngeren Sohn, besorgt nichts Ordentliches für Hannah und eilt übervorsichtig zurück, weil Hannah nicht ans Telefon gegangen ist. Daniel ist total sauer auf seine Mutter, denn bei der Rückkehr sehen sie, dass Sammy und Hannah einen Schneemann gebaut haben und glücklich sind. Das Telefon hatte Opa Walter oder wer auch immer unter Sachen vergraben. Ellie steht völlig neben sich. Sie entschuldigt sich bei Dan und beginnt nun langsam das Kind zu sehen, dass auch ihre Hilfe und vor allem ihre Zuneigung benötigt. Auch Walter reagiert auf das Kind in der Wohnung und glaubt, sie sei seine neue Pflegerin. Er ist nicht in der besten Verfassung, wird langsam dement und sorgt durch seine Bemerkungen doch immer wieder, zumindest beim Leser, für Heiterkeit.
Alles wird gut, auch wenn die Logik in diesem Drama etwas auf der Strecke bleibt. Wie kann es sein, dass ein Kind, nicht adoptiert, bei einem fremden Mann bleibt, der offenbar vom Jugendamt weder überprüft wurde, noch in der Lage ist, ein Kind zu Hause zu unterrichten noch richtig zu ernähren?
Aber gut, diese Geschichte spielt an Weihnachten und zum Glück verzichtet Fran Kimmel auf jegliche unpassende Sentimentalität. Sie spürt sehr real den inneren Konflikten ihrer Figuren nach und legt das Beste in ihnen frei. Hannahs Gegenwart gibt den Blick der Familie auf ihre eigenen, eingefahrenen Verhaltensweisen frei. Ellie löst sich von ihren zwanghaften Vergleichen mit ihrer toten perfekten Schwiegermutter und Eric kann seinen ungeliebten, immer missgelaunten Vater endlich sehen, was er ist, ein schwacher, alter Mann. Dan verschmerzt die Trennung von seiner oberflächlichen Freundin und schenkt Hannah etwas sehr Persönliches zu Weihnachten.
Warmherzige Geschichte für verschneite Tage!