Lea Streisand: Hätt‘ ich ein Kind, Ullstein Verlag, Berlin 2022, 220 Seiten, €19,99, 978-3-550-20165-3
„ Hatte ich doch dieses merkwürdige Zwitterwesen namens Mutter darzustellen, gleichzeitig stark und schwach. Ein niemals versiegender Quell des Lebens, der Liebe, der Güte, ein Perpetuum mobiler Hingabe. Eine unmögliche Aufgabe.
Auch für Jakob und Wilhelm Grimm war die gute Mutter ausschließlich tot denkbar. Beziehungsweise in ihrer Negation. Indem sie die leibliche Mutter auslöschten, überhöhten die Brüder Grimm sie zur Heiligen.“
Die Berlinerin Katharina Wolf ist mit ihren Mitte Dreißig bereits in den vorzeitigen Wechseljahren angekommen und muss sich von der Idee, ein eigenes Kind zu bekommen, verabschieden. Dabei hat sie nun endlich ihren Traummann David, der einen guten Job hat, im Haushalt mithilft und rundum einfach genial ist, gefunden, mit dem sie seit fünf Jahren glücklich ist. Beruflich ist die Ich-Erzählerin, die Germanistik studiert hat, nicht angekommen, schreibt aber 2015 nun ihre Dissertation über die Mutter-Kind-Beziehung in den Grimmschen Märchen. Diese ziehen sich in ihren Urfassungen, von Schneewittchen über Hänsel und Gretel bis zum Machandelbaum, wie ein roter Faden durch die Handlung. Da erfahren die Lesenden, dass Schneewittchen eigentlich blond war und die Stiefmütter eigentlich die richtigen Mütter waren, nur ihre Kinder abgelehnt haben oder mit ihnen einfach nicht froh wurden.
Kathis beste Freundin Effi arbeitet als Kinderärztin, liebt ihren Steuerberater und würde auch gern schwanger werden. Die beiden Frauen ziehen sich Chips und Alkohol rein, wenn sie unbemannt sind und sehen mit Begeisterung einen Harry Potter – Film nach dem anderen. In ihren Leben dreht sich nicht alles um veganes Essen, Achtsamkeit, Nachhaltigkeit oder gar Panik vor der Klimaerwärmung und jeder darf so viel Berlinern, wie er möchte.
Effi bricht nicht unter ihren Diensten im Krankenhaus zusammen und Kathi schreibt Jahr um Jahr an ihrer Doktorarbeit, als hätte sie alle Zeit der Welt.
Zeitgleich, als Kathi klar wird, dass sie nie ein eigenes Kind haben wird und Effi schwanger ist, entsteht die Idee, ein Baby zu adoptieren. David legt weder Wert auf Blutsverwandtschaft noch seine Gene und Kathi ist mittlerweile dermaßen von dem Thema besessen, dass es nur diesen Weg gibt. Sie kann keine fröhlichen oder gar genervten Familien mehr sehen, insbesondere nicht, wenn sie mal einen Ausflug mit Effi in den Prenzlauer Berg unternimmt.
Adoption bedeutet natürlich, einen riesigen bürokratischen Berg zu erklimmen und alles vor den Behörden freizulegen. Wieder vergehen einige Jahre. Effi hatte ihr Kind leider verloren, aber ist nun nach gut zwei Jahren wieder schwanger. Kathi schreibt immer noch an ihrer Dissertation und nun endlich müsste sich mal etwas ändern.
Sie wechseln ihre Sachbearbeiterin und dann, ja endlich dann bekommt Effi ihre Hulda, die sie in der Schwangerschaft Horst genannt hat. Und Kathi und David werden ebenfalls Eltern. Und wenn sie nicht gestorben wären….
Bei dieser Lektüre ist relativ schnell klar, dass die erdenschweren Themen zum Teil umschifft werden und doch von einem realen Leben auf die leichte Weise erzählt wird. Und warum auch nicht. Natürlich wünscht die Leserin, denn nur sie wird zu dem Buch greifen, der quirligen Freundin Effi ein glückliches, möglicherweise auch spießiges Leben im Eigenheim mit Garten und der Hauptfigur Kathi, das Gefühl Mutter zu sein und die einmalige Liebe zu einem Kind zu spüren.
Lea Streisand kann, keine Frage, witzige und lebensnahe Dialoge schreiben und ihre Zielgruppe gut unterhalten.
Wer ein bisschen an Wunder glaubt und sich gern auch auf die Märcheninterpretationen von Kathi einlässt, ist mit diesem leicht lesbaren Buch gut bedient.