H.L. Iffland: Willkommen in Camelford, Heyne Verlag, München 2023, 368 Seiten, €13,00, 978-3-453-42727-3
„Es folgten noch über dreißig Seiten, aber Cosmas wollte sie nicht mehr lesen. Orions Drehbuchautoren hatten um jede einzelne Szene rosa Spitzenrüschen gehäckelt, kein Dialog, keine Interaktion war ohne Zuckerguss geblieben.“
Camelford ist der in Cornwall wohl unangenehmste Ort, was seine Einwohner sofort vehement dementieren würden. Auch wenn der größte Parkplatz kostenfrei ist, lockt Camelford einfach keine Touristen an. Das mag sicher auch an den Geschehnissen im Jahr 1988 liegen, denn hier ereignete sich eine der schwersten Trinkwasserverschmutzungen in der Geschichte Großbritanniens, bei der stark ätzende Chemikalien in die Wasserversorgung gerieten. Außerdem regnet es in Camelford viel mehr als in anderen Gegenden. Aber dann geschieht doch noch ein Wunder. Eine deutsche Filmcrew hat sich zu Dreharbeiten angesagt, und das soll endlich der entscheidende Wendepunkt für Camelford werden.
Der vierzigjährige Schauspieler Cosmas Pleystein aus Oberfranken, der einst einen überraschend erfolgreichen Arthouse – Film gedreht hat, aber dann nur noch Schmachtfetzen bei Orion ( Vielleicht ist hier DEGETO gemeint? ), die in Cornwall spielen, hat das Geld seiner Familie und eigenes in das Drehbuch seiner Schwester Kathi gesteckt. Es soll ein unaufgeregtes, lakonisches Meisterwerk werden, keine Fernsehfilm – Massenware.
In die Jahre gekommen und um einige Kilo schwerer sieht Cosmas in englischer Landherrenkleidung immer noch sehr passabel aus. Bester Dinge reisen nun alle zu den ersten Dreharbeiten an und nach und nach versteht Cosmas, der nicht nur als Hauptdarsteller, sondern auch als Co-Produzent fungieren soll, dass die Produktionsfirma aus dem Drehbuch seiner Schwester, die sich vor einem Jahre das Leben genommen hat, einen völlig neue, absolut kitschige Geschichte gebastelt hat. Erst am Drehort kommt bei Cosmas an, dass der Film auch einen neuen Titel erhalten hat: „Der Liebe ist im Krieg alles erlaubt“. Wenn der Co-Prozent sich nicht dazu bequemen kann, um an wichtigen Besprechungen teilzunehmen und zu faul ist, die überarbeiteten Drehbücher zu lesen, und zu faul sich wirklich als Produzent einzubringen und zu faul, sich dann gegen einen erneuten Schmatzfetzen aufzulehnen, dann entsteht nur Kitsch. Cosmas ist ein Opportunist, der nicht kämpft, wenn ihm etwas wichtig ist. Dieser Film nach einer wahren Begebenheit im Zweiten Weltkrieg, so dachte Cosmas, braucht ein authentisches Setting, den heruntergekommenen Charme von Camelford der 1960er Jahre, aber keine romantischen Sonnenuntergänge. Die Leute im Ort beobachten nun zu Beginn mit Freuden, später dann eher extrem verärgert, wie die Filmleute alles okkupieren und auch zerstören. Mit etwas Druidenzauber versuchen sie, den Deutschen ein bisschen Angst zu machen, bis dahin, dass Cosmas in einem besinnlichen Moment auch noch verprügelt wird. Und dann finden die Leute aus Camelford auch noch einen Toten, für dessen Ermordung sie zuerst einen polnischen Handwerker und dann sogar die Filmleute verantwortlich machen wollen. Kein Spaß!
Tragikomisch entwickelt sich die Handlung dieses Romans, der nicht nur die Eitelkeiten und Überheblichkeit von Schauspielern, Produzenten, Kameramänner und Regisseuren auf die Schippe nimmt, sondern auch einen nicht gerade liebevollen Blick auf eine kleine Stadt wirft, die nicht mehr im Schatten der Nebenorte stehen will. Es geht um englische Lebensart von fettreichen Frühstücken bis hin zu traditionellen Ortsfesten, an denen sich alle beteiligen sollen. Mit vielen Hinweisen auf klassische Filme, die in die Geschichte eingegangen sind, kann das erneute Machwerk von Orion nicht konkurrieren. Eine bittere Erkenntnis für Cosmas.
Dies ist kein Roman für Rosamund – Pilcher – Fans, doch wer etwas über die routiniert arbeitende Filmindustrie, in der sich alle für Künstler und Künstlerinnen halten, wissen will, sollte diesen durchaus unterhaltsamen Roman lesen.