Katherine Heiny: Gemischte Gefühle, Aus dem amerikanischen Englisch von Marion Hertle, Tempo im Hoffmann & Campe Verlag, Hamburg 2018, 350 Seiten, €15,99, 978-3-455-40624-5

„Audra änderte sich nie, dachte Graham. Untreue, Krankheit, Hausgäste, Naturkatastrophen, das Ende der Welt – auch wenn das alles über sie hinwegfegen würde, sie wäre immer noch da, würde frisch aussehen wie eine Blume und sich fragen, ob noch Blaubeer-Muffins übrig waren. Das war zugleich das Beste und das Schlechteste an ihr.“

Seit zwölf Jahren ist Graham, aus dessen Sichtwinkel erzählt wird, mit Audra in zweiter Ehe verheiratet. Er ist gut fünfzehn Jahre älter als seine einundvierzigjährige Frau. Audra arbeitet als freie Grafikerin und er in der medizinischen Forschung. Beide haben einen zehnjährigen Sohn Matthew und leben in Manhattan. Audra ist im Gegensatz zu Graham äußerst kontaktfreudig und immer wenn Graham die Tür zu seinem Apartment öffnet, fragt er sich, wer heute wieder als Hausgast in der Familie lebt. Mal ist es eine Bekannte von Audra, deren Mann gerade eine sogenannte Kreativpause einlegt oder viel eher eine neue Freundin hat, mal ist es der Hausportier, dessen zahlreiche Anverwandte seine kleine Wohnung in Anspruch nimmt. Als dann auch noch Opa Stan mit seinem sabbernden Hund und seinem Enkel Noah, endlich ein gleichaltriger Freund für Matthew, in der Wohnung wohnen, ist Graham schon sehr an seiner Toleranzgrenze angelangt. Opa Stan benötigt viel Aufmerksamkeit und kann es gar nicht dulden, wenn jemand einfach nur eine Zeitung lesen möchte. Auch Audras beste Freundin Lorelei wohnt im Haus. Durch eine Erbschaft nimmt Matthew wieder Kontakt zu seiner Ex-Frau Elspeth auf, die mittlerweile einen Freund hat. Audra lädt natürlich beide gleich mal zum Essen ein, dabei hatte Graham Elspeth verlassen, um mit Audra zu leben. Beide Frauen sind völlig verschieden, zumal Elspeth sehr auf klinische Sauerkeit achtet und als Person unnahbar zu sein scheint.

Wenn Graham seine Frau, der nichts aber auch gar nichts peinlich ist, im Gespräch mit anderen Menschen beobachtet, dann fühlt er sich irgendwie ausgeschlossen. Andererseits kommentiert er jede Szene mit einem herrlich trockenen Humor.

Sehr viel Ausdauer und vor allem Geduld benötigt Graham, wenn es um seinen Sohn Matthew geht, der offenbar an Asperger leidet. Matthew redet nicht gern, er isst nie bei fremden Leuten und wenn sich seine Eltern an die ersten Jahre mit ihm erinnern, dann wurde viel geschrien und es dauerte seine Zeit, ehe Audra und Graham hinter Matthews Geheimnisse kamen. Matthew liebt nichts so sehr wie Origami und so darf der Vater den Sohn am Sonntagmorgen zu einem Origami-Club fahren. Dort lernt er ebenfalls ziemlich durchgeknallte Leute, wie z.B. Clayton kennen. Dass der Junge nur mit Erwachsenen befreundet ist, die irgendwelche Papiere falten, macht den Eltern schon Sorgen. Und bei einem Gespräch über Politik mit Clayton gehen Graham folgende respektlose Gedanken durch den Kopf.

„…. wobei er sich fragte, ob es überhaupt möglich ist, dass ein Origami-Club in irgendeiner Form politisch sein konnte. Was sollten Sie tun, eine Flotte Papierflieger falten und Libyen angreifen?“

Später wird Matthew einen Freund finden, allerdings sorgt Derek ständig für Ärger. So fand der Informatiklehrer im Unterricht auf Dereks und Matthews Computer im Verlauf harte Pornoseiten.
Es geschieht viel in dieser kleinen Gemeinschaft, es wird eingekauft, gekocht, ein bisschen gestritten und gestorben. Mal ist Graham eifersüchtig, mal hat er wieder Geheimnisse vor Audra, die neuerdings glaubt, schwanger zu sein. Möchte er in Audras Gegenwart manchmal im Erdboden versinken, so erheitert sie ihn auch.

„Audra las nie Zeitung, sah sich noch nicht mal die Nachrichten an. Nordkorea könnte die gesamte morgenländische Küste bombardieren und sie würde nichts erfahren, ehe es nicht jemand in Facebook erwähnt.“

Auch wenn Graham bei Elspeth ab und zu neuerdings kocht und die Ruhe genießt, um dann wieder mit Audra ein paar kleine Katastrophen zu überstehen, ist das Leben doch einfach nur herrlich. Und als klar wird, dass Matthew mit den verrückten Origami-Leuten keine Zeit mehr verbringen will, fällt Audra und Graham mehr als ein Stein vom Herzen.

Ganz normale Menschen mit all ihren seltsamen Abgründen und sympathischen Zügen, davon erzählt die amerikanische Autorin Kathrine Heiny. Wunderbar unterhaltsam seziert sie das Leben von allen möglichen Seiten und auf jeden Fall darf man auf ihre kommenden Romane gespannt.