Fred Vargas: Jenseits des Grabes, Aus dem Französischen von Claudia Marquardt, Limes Verlag, München 2024, 528 Seiten, €26,00, 978-3-8090-2782-9
„Adamsberg. Dieser Bulle, der nach allem aussah, nur nicht nach einem Bullen, dieser kleine Braunhaarige mit dem verschommenen Blick, der dich anzuschauen schien, ohne dich zu sehen, dessen Lässigkeit Zweifel daran aufkommen ließ, ob er überhaupt Interesse an einer Antwort auf seine eigenen Fragen hatte, dieser Bulle versetzte ihn instinktiv in Alarmbereitschaft.“
Und dazu hat Pierre Robic, der dubiose, undurchsichtige wie ziemlich reiche Geschäftsmann, auch allen Grund. Doch ehe er innerhalb des Romans seinen furiosen Auftritt hat, dauert es eine ganze Weile.
Das Zeichentalent Adamsberg und seine „vagen Ideen“ jedenfalls stehen wiedermal im Mittelpunkt des Geschehens, allerdings nicht in Paris, sondern in der Bretagne. Hier hatte Adamsberg bereits schon einmal mit Kommissar Franck Matthieu einen Fall gelöst. Nachdem in Louviec ein Wildhüter und eine junge Verkäuferin angeblich von einem Linkshänder in den Abendstunden erstochen werden, wird Adamsberg wieder mit Matthieu ermitteln. Eigenartig ist, dass der Mörder offenbar den Linkshänder nur vortäuscht, das Messer im Opfer stecken lässt und eindeutig Kolonien von Flöhen mit sich herumträgt, die auf den Getöteten frische Stiche hinterlassen. Und jedes Mal scheint es so zu sein, als wäre das stadtbekannte, freundliche Faktotum, Josselin de Chateaubriand, der Mörder.
Dieser fein angezogene Mann, der aus dem 19. Jahrhundert zu stammen scheint, ist ein ferner Verwandter des Vicomte François-René de Chateaubriand. Als international bekannter Autor und Begründer der literarischen Romantik in Frankreich kennt jeder, außer Adamsberg, sein Werk, u.a. „Erinnerungen von jenseits des Grabes“. Josselin de Chateaubriand verfügt kaum über eine schriftstellerische Begabung noch Fähigkeiten anderer Art, er sieht seinem Vorfahren einfach nur wahnsinnig ähnlich. Und so posiert der arme Mann, der nie er selbst sein darf, gegen Bezahlung für die Touristen im Schloss Combourg und würde keiner Fliege etwas zu leide tun. Würde man ihn verhaften, wäre sein Ruf und vor allem auch der des Ortes beschädigt. Nur Adamsberg sorgt sich um den Mann, denn diese Messermorde hören nicht auf. Eigenartig ist auch, wie abergläubisch die Bewohner in diesem Ort sind. Sie fühlen sich gedemütigt, wenn man auf ihren Schatten tritt und sie glauben die Spukgeschichten über den Hinkenden, einen Geist, der nach vierzehn Jahren zurückgekehrt sein soll. Adamsberg benötigt eine Nacht, um den Übeltäter, der die anderen nur mit seinem klackenden Stock nervt, ausfindig zu machen. So wie das Team um Adamsberg herum sehr originell ist, immerhin muss Mercadet mehrmals ein Schläfchen am Tag halten, um arbeiten zu können und die kräftige Retancourt lässt sich einfach nicht entführen oder gar von irgendwelchen Verbrechern in den Schwitzkasten nehmen. Doch dann werden noch eine Ärztin und der Bürgermeister ermordet. Da diese Toten ein Ei in der Hand halten und vor dem Ende ein paar Worte röcheln, gehen die Polizisten davon aus, dass die Morde Racheakte gegen Menschen sind, die eine Abtreibung befürworten. Endlich haben die Ermittler ein Motiv gefunden, dass alle Personen eint. Nur seltsam ist, dass den Bürgermeister ein wahrer Linkshänder getötet hat. Ab diesem Zeitpunkt läuft die Handlung auch mit neuen Perspektivwechseln in eine ganz neue Richtung und Pierre Robic, den viele im Ort kennen, und seine Gangsterbande kommen ins Spiel. Für Adamsberg wird es ziemlich brenzlig und Robic, der immer mit allem durchkommt, weil er einfach genug Leute schmiert, entführt sogar ein Kind, um seine perfiden Pläne durchzusetzen. Allerdings vertrauen die Einwohner im Ort Adamsberg und seinem Team und liefern genug Informationen, um letztendlich alle Fälle aufzuklären. Und natürlich lag Adamsberg mit seine These von den Täter mit Flöhen genau richtig.
Auch wenn die neue Krimigeschichte rund um den unkonventionellen Ermittler Adamsberg irgendwie in zwei Teile zerfällt, der Spannungsbogen nicht funktioniert und die unerwarteten Wendungen dann doch zu konstruiert sind, lässt man sich gern auf die literarische Sprache und die originellen Figuren der französischen Autorin ein.