Ildikó von Kürthy: Es wird Zeit, Rowohlt Verlag / Wunderlich Verlag, Hamburg 2019, 384 Seiten, €20,00, 978-3-8052-0043-1

„Reizarmut. Eigentlich auch ein schönes Lebensmotto.“

Eine vollschlanke, sich langweilende wie neurotische Zahnarztgattin mit Luxusproblemen kann sich als Heldin ihres Buches eigentlich nur Ildikó von Kürthy, auch bekannt durch ihre Unterhaltungsliteratur und ihre Brigitte-Kolumnen, ausdenken.
Judiths fünfzigster Geburtstag ist nah und die Lebenskrise vorprogrammiert. Außerdem ist ihre Mutter, die sie sehr geliebt, aber im Elternhaus nie besucht hat, verstorben, die drei erwachsenen Kinder erobern die Welt, Judiths freiberuflicher Job als Schreiberin von Moderationstexten ist passe und der praktische Joachim, Judiths Ehemann, auf Abwegen. Seine Geliebte ist keine Frau, die Annemieke heißt, sondern ein hochseetaugliches Boot gleichen Namens.
Von Wedel reist Judith nun ins Rheinland ins heruntergekommene Haus der Mutter und trifft dort den Immobilienhändler Heiko, den Mann, der ihr einst das Herz gebrochen hat. Aber nicht nur das, auch Freundin Anne aus Jugendzeiten steht plötzlich auf dem Friedhof vor ihr, als sie sich vor dieser eigentlich verstecken wollte und wie ein dicker Käfer rücklings auf einem Grab zum Liegen kommt. Warum die beiden Frauen sich seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen haben und welche Schuld Judith auf sich geladen hat, wird über lange Passagen dann erörtert und im Nachhinein völlig auf den Kopf gestellt. Hinzu kommt, dass alles gar nicht mehr so wichtig ist, denn die erfolgreiche Juristin Anne ist in ihren Heimatort zurückgekehrt, da sie an Krebs erkrankt ist und nicht mehr viel Zeit hat.
„Es wird Zeit“ – ja wozu? Die Ich-Erzählerin umkreist nun in einem inneren Monolog angeblich verpasste Lebenspläne, ihr sie plagendes Gewicht und die befreiende Lust am Essen in allen Variationen und die sozialen Medien, die ihr auch noch zeigen, wie alt sie wirklich ist. Sie ist die Frau, die in der Öffentlichkeit unsichtbar ist. Was nicht heißt, dass sie ihr Lebensruder, wie ihr trockener Ehegatte, auch noch rumreißen könnte. Immerhin bietet Heiko einen unverschämt hohen völlig überteuerten Preis für die Bruchbude der Mutter. Warum eigentlich?
Umgeben von pragmatischen Freundinnen, wie Martina und einem zupackenden Schwulenpäarchen mit Kindern erfüllt Judith alle Klischees, die man sich nur wünschen kann.
Weshalb Frauen mit stattlichem Haus, Putzfrau, Ehrenämtern und gut verdienenden Männern bei Ildikó von Kürthy in die Krise geraten, bleibt dahingestellt. Sie sind ja auch Menschen. Wie retro das alles ist, muss ihr sicher niemand sagen. Allerdings ist es nie zu spät, zu neuen Ufern aufzubrechen, um Schriftstellerin zu werden oder irgendetwas anderes.
In gewohnter Chick-Lit-Manier voller Selbstironie darf sich Judith als Frau, Mutter und Freiberuflerin der Vergangenheit und Gegenwart stellen. Sie darf ihren Mutterblues ausleben, über Rückenschmerzen und ihren Ehefrust klagen und ihre Trauer über den Verlust der Mutter beweinen und den Gedanken, nun müsse sie endlich erwachsen werden.
Mit schönem Papier ausgestattet und illustriert von Peter Pichler ist „Es wird Zeit“ ein rundum Wohlfühlbuch für alle, die einfach mit Anfang 50 keine wahren Probleme haben. Ein Buch zum Fremdschämen – keine Frage, aber was soll’s.