Donal Ryan: Seltsame Blüten, Aus dem irischen Englisch von Anna-Nina Kroll, Diogenes Verlag, Zürich 2024, 272 Seiten, €26,00, 978-3-257-07265-5
„Doch keine der Geschichten verriet oder enthüllte irgendetwas darüber, warum sie gegangen war und wie um Himmels willen sie ihren Eltern fünf lange Jahre die Hölle auf Erden hatte bereiten können … und nicht einmal den Anstand besaß, sich zu erklären, um Vergebung zu bitten, voller Reue vor ihnen auf die Knie zu fallen.“
Die gottesfürchtigen Gladneys, Paddy und Kit, beide in den sechziger Jahren, können nicht fassen, warum ihre zwanzigjährige, anmutige wie gut erzogene Tochter Moll aus Tipperary verschwunden ist. Paddy arbeitet bei den Jackmans als Gutsknecht, er trägt die Post aus und befindet sich in den 1970er Jahren in einer unsäglichen Abhängigkeit. Die Jackmans geben ihm Arbeit und ihnen gehört das Haus, in dem seine Familie wohnt. Sogar der kleine, miese Sohn der Jackmans hat dem älteren Mann bereits klargemacht, wie sehr er unter der Knute seiner Arbeitgeber steht.
Voller Trauer und des Mitleids der Nachbarn gewiss reisen die Gladneys sogar nach Dublin, um die Tochter vielleicht in einem Frauenhaus zu finden oder gar auf der Straße.
Doch dann, fünf Jahre später, geht die Nachricht wie ein Lauffeuer durch den Ort: Moll ist zurückgekehrt.
Von all diesen Geschehnissen berichtet Donal Ryan atmosphärisch genau in einer melodischen wie einfühlsamen Sprache. Jede Figur mit ihren Eigenheiten und Gefühlen ist vorstellbar und jeder Ort wird genauestens beschrieben. Unaufgeregt kommt die Geschichte dieser einfach lebenden Menschen daher und umfasst doch für die Zeit, im Hintergrund tobt der Vietnamkrieg, und das religiös geprägte Leben ungeheuerliches.
Molls Verhalten bleibt wieder Zuhause rätselhaft und so streitet sie ab, dass sie den großen Schwarzen Mann, Alexander Elmwood, der sich auf die Suche nach ihr gemacht hat, angeblich nicht kennt. Doch Moll und Alexander haben beide in London zusammen in einem Hotel gearbeitet. Der gute Paddy nimmt sich des angetrunkenen Alex an und schnell stellt sich heraus, dass Moll mit Alex längst verheiratet ist und beide einen einjährigen Jahr Sohn namens Joshua haben, der einem Wunder gleich zwar schwarze Haare hat, aber eine weiße Haut. Joshua wird wie Moll als junger Mann sein „behütetes Miniaturleben“ verlassen und nach London verschwinden, um Schriftsteller zu werden. Gesellschaftlich nicht akzeptiert kann Alex mit seinem weißen Kind nicht in Notting Hill, wo er gewohnt hat, bleiben. Die übergroße Liebe von Alex hat Moll überrollt. Erst am Ende des Romans können die Lesenden verstehen, aus welchem Grund Moll ihr Dorf und die Eltern verlassen hat. Der Grund in dieser Zeit ist noch ungeheuerlicher als die Ehe mit einem Schwarzen. Um ihren Selbstmordgedanken zu entfliehen, musste Moll den Ort verlassen, in dem ihre wahre Liebe lebt. Als Alex bei einem tragischen Unfall ums Leben kommt und Joshua das Haus verlassen hat, kann sie sich dieser Person nähern. Auch diese Begegnung wird von einer gewalttätigen Begegnung überschattet. Für Moll und ihre Liebe ist es nicht möglich, die „Tür zu ihrem wahren Ich zu öffnen“.
Donal Ryan ist ein begnadeter Erzähler. Jedes Wort seines Roman ist wohlbedacht und die Kraft seiner Sprache faszinierend.