A.S.A. Harrison: Die stille Frau, Aus dem Englischen von Juliane Pahnke, Bloomsbury Verlag, Berlin 2014, 382 Seiten, €14,99, 978-3-8270-1207-4
„So viele Chancen und Privilegien, und sie fährt das alles einfach gegen die Wand.“
Jodi Brett und Todd Gilbert sind seit 20 Jahren ein Paar, ein glückliches Paar nach außen hin. Sie arbeitet als Psychotherapeutin zu Hause und er leitet als Selfmademan mit gut kalkuliertem Risiko Bausanierungen in Chicago. Ohne Kinder aber mit einem gutmütigen Hund genießen sie das wohlsituierte, sorgenfreie, bequeme Leben. Jodi ist eine stille, attraktive, in ihren Reaktionen berechenbare, verlässliche Frau, die sich mit Kochkursen oder im Fitnessstudio die Zeit gut vertreiben kann. Sie glaubt, das Schicksal hat für sie nur Gutes im Sinn. Und so kann sie gar nicht fassen, dass sie bald für einen Mord verantwortlich sein wird. Todd hingegen pflegt seine Affären, über die seine Lebenspartnerin, sie sind nicht verheiratet, ebenfalls stillschweigend hinwegsieht und weiß, sie bietet ihm das, was er benötigt: Sicherheit, Geborgenheit und jeden Abend ein bekömmliches Abendessen.
„Jodis großes Talent ist ihr Schweigen, und das hat er an ihr immer geliebt, dass sie wusste, wie sie sich um ihren eigenen Kram kümmern muss und ihre Meinung für sich behält. Aber Schweigen ist zugleich ihre stärkste Waffe.“
Aber dann gerät beider Leben aus den Fugen, denn Todd beginnt eine Beziehung mit Natasha. Sie ist halb so alt wie er und die Tochter seines ältesten Freundes Dean. Todd fühlt sich nach einer Depression, Jodi konnte ihm nicht helfen, wieder lebendig und begehrt.
Aus Jodis und Todds Perspektive erzählt die viel zu früh verstorbene englische Autorin das Geschehen. Immer länger schiebt Todd die Wahrheit vor sich her, wiegt Jodi mit seinen Lügen und Ausflüchten in Sicherheit. Er bringt es nicht fertig, ihr zu sagen, dass Natasha schwanger ist und er heiraten wird.
Als Dean von der Liaison seiner Tochter und den Folgen erfährt, ist er mehr als verärgert. Er teilt Jodi alles brühwarm mit. Aber sie verfällt in ihre üblichen Verhaltensmuster. Sie schiebt alles von sich, ignoriert die andere Frau. Sie begibt sich in ihr Paralleluniversum und legt über alles den Schleicher des Schweigens.
Als Todd endlich den Mut aufbringt und mit Jodi redet, ahnt er bereits, was er aufgeben wird. Natasha nervt ihn mit ihrem Kontrollzwang, ihrer Unordentlichkeit, ihrer Sucht nach Aufmerksamkeit und diesem unstrukturierten Alltag. Aber Todd nimmt alles hin, hofft auf Veränderungen, wenn erstmal das Baby da ist.
Immer mehr erfährt der Leser über die Kindheit der beiden Hauptfiguren: Todds Bemühen um die Mutter, die nach dem Tod des Vaters, der ein gemeiner Säufer war, noch ein paar gute Jahre hatte oder Jodis Mutter, die das Fremdgehen des Vaters in dem kleinen Ort stoisch hingenommen hat. Psychlogisch versucht die Autorin aus Jodis Sicht vieles zu unterfüttern.
„Laut Adler ermöglicht uns ein gesundes Selbstvertrauen, in allen unseren Unternehmungen sachbezogen und nicht wertbezogen zu urteilen, wohingegen Minderwertigkeitskomplexe dazu führen, dass man sich nur auf sich selbst konzentriert. So ist Todd, in aller Kürze.“
Noch glaubt der unersättliche Todd, er könne sich alle Optionen offen lassen. Jodi erscheint ihm in Anbetracht seiner neuen häuslichen Situation noch immer durchaus begehrenswert. Er will niemanden kränken und streckt bereits die Fühler nach einer neuen Frau aus. Doch als Todds Anwalt Jodi auffordert, ihre Wohnung binnen vier Wochen zu räumen, schwinden auch Jodis Tagträume und Hoffnungen. Wie wird sie sich künftig mit ihrem schmalen Honorar über Wasser halten? Warum hat sie Todd nicht geheiratet? Nichts kann sie jetzt beanspruchen, was er ihr nicht freiwillig zugesteht. Und wenn es nach Natasha gehen würde, wäre das gar nichts.
Jodi kann sich der Realität nicht stellen, ihre gewohnte Betriebsamkeit und die Auffassung, man müsse den Schein wahren, endet an dieser Stelle ihres Lebens. Sie verlässt ihre Wohnung nicht mehr, trinkt zuviel und engagiert für den Hund eine Sitterin. Als ihre Freundin Alison sie so allein am Boden und ohne jegliche Ansprüche nach 20 gemeinsamen fast Ehejahren mit Todd erlebt, nimmt ein Plan langsam Kontur an. Immerhin wäre sie nach Todds Tod die Alleinerbin.
Jodi wird zu ihrem Recht gelangen, doch unter welchen Umständen. Tief in ihr drinnen schlummert ein tragisches Geheimnis, dass jedoch erst am Ende in Andeutungen gelüftet wird und vieles erklären könnte.
Äußerst spannend liest sich dieses Debüt und psychologische Kammerspiel zwischen zwei Menschen, die sich gefunden haben und mit ihren Prägungen über eine geraume Zeit glücklich sind, um dann alles zu zerstören.
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