Joy Fielding: Die Schwester, Deutsch von Kristian Lutze, Goldmann Verlag, München 2016, 448 Seiten, €19,99, 978-3-442-31272-6
„Und wenn der DNA-Test schlüssig bewies, dass Lili nicht ihre Tochter war, wusste Caroline nicht, wie sie diesen Verlust überleben sollte.“
Es ist der Albtraum jedes Elternpaares, wenn ein Kind plötzlich verschwindet. Die Ungewissheit, die eigenen Schuldgefühle, die Angst und die Presse, die solche Fälle gnadenlos ausschlachtet, zerstören Leben. Caroline und Hunter sind seit zehn Jahren verheiratet. In einem exklusiven Hotel in Mexiko wollen sie ihren Hochzeitstag mit ihren Töchtern feiern, Michelle ist fünf Jahre alt und Samantha zwei. Eigentlich wollte Hunter die Kinder zu Hause bei Carolines Mutter lassen, aber dazu konnte sich Caroline nicht durchringen. Sicher, sie wollte endlich wieder Zeit mit ihrem beruflich so eingespannten Mann verbringen, aber ihrer Mutter, der „hartherzigen Narzistin“, die Kinder überlassen, niemals. Und dann kommt alles ganz anders, denn Hunter hat zur nicht gerade großen Freude seiner Frau Familie und Freunde nach Mexiko eingeladen. An dem bewussten Abend, an dem alle zusammen essen wollen, fehlt plötzlich der Babysitter. Angeblich wurde der Termin abgesagt. Caroline will die Kinder nicht allein lassen, Hunter sieht es lockerer. Alle halbe Stunde werden sie nach den Kindern sehen und es wird schon nichts passieren. Caroline ist auch nicht wohl, da sie zweimal die Schlüsselkarte zu ihrem Zimmer im Hotel verloren hat.
Doch dann geschieht etwas, das Carolines und Hunters Leben völlig auf den Kopf stellen wird. Sie kehren kurz vor 22 Uhr in ihr Zimmer zurück und Samantha liegt nicht mehr in ihrem Bettchen.
Joy Fielding erzählt immer in ausgewählten Auszügen von den Geschehnissen im mexikanischen Rosarito vor 15 Jahren. Parallel dazu erfährt der Leser, wie Carolines gegenwärtiges Leben in San Diego verläuft. Gegenwart und Vergangenheit, alles worum Carolines Gedanken kreisen, stehen somit fast nebeneinander. In Rückblenden wird klar, Carolines Ehe hält nicht, ihre damals bereits extrem eifersüchtige Tochter Michelle entwickelt sich zu einer nervig anstrengenden jungen Frau, die ihr Studium abbricht, Essstörungen hat, alkoholisiert Auto fährt und mit ihrem Hass auf die Familie alle an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringt. Und Hunter hat eine neue Familie gegründet und ist wieder Vater geworden. Carolines Mutter spielt mit dem Prinzip, teile und herrsche, wie immer alle gegeneinander aus, und liebt doch nur ihren Sohn Steve abgöttisch, einen Blender. Seine Ehe mit Betty hat sich mit Erfolg zerstört, denn Betty konnte keine Kinder bekommen und ist früh an Krebs verstorben.
Neben all den familiären Szenen beschreibt Caroline auch, wie die Presse mit ihrer qualvollen Schnüffelei, ihrem impertinenten Verhalten und Mutmaßungen ihr Berufsleben zerstört hat. Als Lehrerin bekommt Caroline kaum Arbeit, denn sie wurde immer wieder als die verantwortungslose Rabenmutter hingestellt, die ihre Kinder allein gelassen hat und vielleicht sogar ihr eigenes Kind getötet hat. Hunter spielte bei den fiesen Attacken der Zeitungsschmierer kaum eine Rolle. Er taucht in seinem Anwaltsberuf unter und behält eine weiße Weste, obwohl er ein Betrüger und Lügner ist.
Caroline ist äußerlich von den Ereignissen der letzten 15 Jahre gezeichnet und sie ist schon zu oft, Betrügern auf den Leim gegangen. Aber sie hofft weiterhin, ihre Tochter endlich in die Arme zu schließen. Und dann ruft eine gewisse Lili aus Kanada an und behauptet, sie sei Samantha und würde auch einen DNA-Test machen lassen. Caroline fliegt sofort nach Calgari, nur Lili taucht nicht auf. Im Laufe der Geschichte wird Lili allerdings eine wichtige Rolle spielen und Carolines seltsame Familie.
Joy Fielding hat ein feines Gespür für ein gutes Erzähltempo und eine übersichtliche Handlung. Sie schreibt schnelle Dialoge, kommt unheimlich präzise auf den Punkt, baut geschickt ungeahnte Wendungen ein und neigt leider dazu, ihre Figuren zu eindimensional zu formen. Kein Kapitel endet ohne Cliffhanger, um dann wieder Zeit und Ort zu wechseln, um so die Spannung anzutreiben. Dabei versucht die amerikanische Autorin, ein genaues Bild vom Innenleben ihrer Hauptfigur zu zeichnen, was ihr auch gut gelingt. \r\nMag das Ende etwas zu konstruiert sein, „Die Schwester“ ist ein unterhaltsamer Roman für ein verregnetes Wochenende.
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