Fred Vargas: Die Nacht des Zorns, Aus dem Französischen von Waltraud Schwarze, Aufbau Verlag, Berlin 2012, 454 Seiten, €22,99, 978-3-351-03380-4

„Ich glaube, dass der Kerl, der die Taube gefoltert hat, der Kerl, der in Ordebec gemordet hat, der Kerl, der Clermont-Brasseur verbrannt hat, dass die alle Arm in Arm in seinem Kopf spazieren, ohne dass er zwischen ihnen groß unterscheidet.“

Jean-Baptiste Adamsberg, der eigenwillige, unkonventionell agierende Kommissar, Chef der Brigade criminelle und Taubenfreund in Fred Vargas neuem Roman, ermittelt mit seinen ebenfalls ziemlich einmaligen Mitarbeitern wiedermal an mehreren Stellen zeitgleich: zum einen in Paris und zum anderen in der Normandie, in Ordobec. Hier kursiert seit dem Mittelalter die Legende vom wilden Heer, das mit seinem Anführer, Seigneur Hellequin, schuldig gewordene Menschen ergreift. Linda, eine äußerst attraktive Frau, ist diesen mythischen Jägern verfallen und benennt namentlich drei Männer aus dem Ort, einer ist unsichtbar, die sie in dem Heer angeblich gesehen hat.

Wieder wandelt Fred Vargas, im wahren Leben Historikerin und Archäozoologin, traumsicher zwischen realen und geschichtlich verbürgerten Ereignissen, die sie äußerst, trotz Schauermärchen-Charakter, geschickt und vor allem glaubhaft in ihren Krimi verwebt.

Die beunruhigte Mutter Lindas sucht Adamsberg auf, um ihn auf diese angekündigten Morde, die im normannischen Land geschehen werden, aufmerksam zu machen und dann fügt es sich so, dass er wirklich vor Ort ermitteln wird und die völlig abgedrehte Familie von Linda kennenlernt.

In Paris indessen muss die unwiderstehliche Violette Retancourt incognito tätig werden, denn es geht um den Mord an einem einflussreichen Unternehmer. Schnell ist der kleine Brandstifter Mohammed im Visier der Polizei, aber Adamsberg erkennt die Methode. Die habgierigen Mörder, die Söhne des Unternehmers, haben Mo die Tat im wahrsten Sinne des Wortes in die Turnschuhe geschoben. Adamsberg ahnt, dass Mo in den Mühlen der Justiz zermahlen wird. Er organisiert seine Flucht und versteckt den angeblichen Mörder in seiner eigenen Wohnung. Mit Hilfe seines Sohnes, die Fahndung läuft ganz offiziell gegen Mo, schafft Adamsberg ihn außer Landes. Ziemlich gewagt, so wie alles was Adamsberg unternimmt oder einfach schleifen lässt aus Zerstreutheit.
Und doch, wie ein Blitz durchfährt ihn manchmal ein Gedanke und dann ist der Fall fast gelöst.
Beim Lesen von Fred Vargas Romanen schüttelt man ab und zu den Kopf und denkt, man sei in einem völlig abgedrehten Schauerroman gelandet und doch hält die Autorin gekonnt die Balance zwischen Kriminalfall und wundersamem Abdriften in mittelalterliche Geschichten, die bis heute, warum auch immer, fortdauern.