Daniela Krien: Die Liebe im Ernstfall, Diogenes Verlag, Zürich 2019, 288 Seiten, €22,00, 978-3-257-07053-8
„Im Ernstfall ist sie allein. Ihr Gesicht brennt, in ihrem Kopf jagt ein Gedanke den nächsten.
Liebe ist kein Gefühl. Liebe ist keine Romantik. Liebe ist eine Tat. Man muss die Liebe vom Ernstfall aus betrachten. Alles, was sie früher über die Liebe geschrieben hat, ist Unsinn.“
Am Beginn jeder neuen Beziehung ist es aufregend, es sind diese beschwingten Gefühle, die einem den Tag versüßen, mit läuft mit einem Lächeln durch die Straßen, fantastischer Sex kommt hinzu, alles ist neu, alle sind umwerfend glücklich. Von berauschenden Empfindungen werden die Beziehungen von Paula und Ludger, Brida und Götz oder Jorinde und Torben getragen. Möglicherweise spüren die Frauen zuerst ein paar Wermutstropfen. Vielleicht ist Ludgers Drang, Paula zu formen, am Beginn nur ein bisschen nervig, Götz‘ innere Ruhe für Brida manchmal langweilig oder Torbens kompromisslose Art für Jorinde unverständlich.
Es wird geheiratet, das erste Kind kommt und schon beginnen die ersten wirklich ernsthaften Konflikte, die Auseinandersetzungen werden lauter und dann findet man sich doch wieder und ein zweites Kind kündigt sich an, aber es geht nicht steil bergauf, sondern gnadenlos bergab.
In Gedankenströmen erinnern sich die ambivalenten Protagonistinnen Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde, ans erste Kennenlernen und den Verlauf ihrer Beziehungen bis in die Gegenwart. Alle fünf Frauen leben in Leipzig. Mal sind sie eng befreundet, mal kennt man sich nur vom Sehen oder eine beobachtet die andere. So geschehen bei Malika, deren große Liebe der schwäbische Möbelrestaurator Götz ist. Er hat sich für die eigenwillige Brida entschieden, die Jägerin und Schriftstellerin, die sich ihren Mann erobert und dann im Alltag mit zwei Kindern und der quälenden Erkenntnis, nicht schreiben zu können, untergeht. Götz finanziert das Familienleben und erwartet, dass sie für die Kinder da ist.
Die bindungsunfähige Judith, die Ärztin mit eigener Praxis, hat Brida in ihrem Entschluss, Götz zu verlassen, ermutigt. Aber Brida erkennt bald, wie leer Judiths Dasein mit ihren One-Night-Stands und ständigen Verabredungen per Partnersuche-Websites eigentlich ist.
Paula, die Buchhändlerin, die Judith seit Kindertagen kennt, reagiert da gelassener auf die Freundin, die eigentlich nur ihre Pferde liebt. Paula muss den Tod ihres zweiten Kindes verwinden, das mit acht Monaten am plötzlichen Kindstod verstarb. Paulas Mann Ludger akzeptiert dies nicht und schiebt alle Schuld seiner Frau zu. Paulas Mutter reagiert auf den Schmerz der Tochter ohne innere Anteilnahme und hält ihr lieber vor, wie schwer es doch die Flüchtlinge in Deutschland hätten.
Die Mütter und auch Väter, ob aus dem Osten oder Westen, kommen bei Daniela Krien nicht gut weg, entweder sind sie zu schwach, emotionslos oder zu exaltiert. Sie demütigen ihre Kinder, akzeptieren ihre Lebensziele nicht, glorifizieren sie oder verstehen ihr Leid nicht. Durch den Standort Leipzig spielen auch DDR-Erfahrungen eine Rolle, sowie Erlebnisse und Begegnungen nach der Wende. So sind die neuen deutschen Männer, ob Torben oder Ludger von einem bestimmten Sendungsbewusstsein beseelt, sie sind Vegetarier, Ich-bezogen, schnell in ihrem Urteil über andere und seltsam empfindlich, was ihre Männlichkeit betrifft. Allerdings finden alle ziemlich schnell nach Trennungen neue Partnerinnen, was bei Frauen nicht so eilig funktioniert. Malika, z.B. kann sich nach dem schmerzlichen Abschied von Götz nicht wieder gleich binden.
Es sind die ganz individuellen Geschichten von Frauen und Männern, die die Freiheit haben, ihre ganz eigenen Lebensmodelle, so auch der Titel von Bridas erstem Buch, zu suchen, zu leben und zu scheitern. Was kommt ihnen in die Quere? Ist es die unberechenbare Liebe, die ausgelebt werden muss, die eigene Intoleranz, der sich ausbreitende Egoismus, die Unvernunft, das Gefühl, alles könnte noch einmal beginnen und dann viel besser sein oder dieser unbändige Drang, ein erfülltes Leben haben zu müssen? Werden Paula und ihr neuer Freund Wenzel nach all ihren Erfahrungen ein Paar bleiben? Vielleicht. Werden die kinderlose Malika und ihre Schwester Jorinde mit den drei Kindern bei aller Unterschiedlichkeit als Wohngemeinschaft glücklich? Möglicherweise.
Jedes Frauenschicksal betrachtet Daniela Krien einzeln, lässt der Erzählung ihren Lauf und überfrachtet sie nie mit zu vielen Details. Dieses Buch verschlingt man einfach, denn aufregend liest sich dieser Alltag der unterschiedlichen Frauen, die doch nur eines wollen, auf ihre Art glücklich.
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