Silke Scheuermann: Die Häuser der anderen, Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2012, 260 Seiten, €19,95, 978-3-89561-374-6

„Aber Menschen waren vorhersehbar – letztendlich zeigte das Zusammensein mit ihnen immer das Gleiche: Man konnte sich auf nichts verlassen. Jeder konnte urplötzlich aus dem Leben davonrennen.“

In die Häuser der anderen und das Leben der anderen ( Anspielung an den Kinofilm) zu schauen, hat etwas Voyeristisches. Die Putzfrau Gaby, die sich ein wohlhabendes, bequemes Leben erträumt und es nicht ausstehen kann, wenn Leute sich gehen lassen, betrachtet mit Neid das mondäne und doch architektonisch so einmalige Haus der Taunstätts. Er ist Promi-Tierarzt und sie Moderatorin einer Talk-Show. Gaby hat einen Plan. Ihre attraktive Tochter Britney soll sich Mark Taunstätt, den Adoptivsohn und Märchenprinzen, schnappen und dann hätten alle ausgesorgt. Doch Marks Neigungen zielen eher in Richtung Drogen und Beschaffungskriminalität, später wird er seinen Adoptivvater mit einem Baseballschläger töten.

Die Häuser der kultivierten Vorstadtbewohner am Kuhlmühlgraben, in einem wohlsituierten Vorort von Frankfurt, erzählen ihre eigenen Geschichten. In losen sich aneinanderknüpfenden Handlungen tauchen immer wieder zeitversetzt die gleichen Protagonisten auf. Stehen die einen mit ihrem Besitz und Geschmack auf der Sonnenseite, so bleiben den anderen, gescheiterten nur die Brosamen. Dorothee betäubt ihre Gedanken nach dem plötzlichen Unfalltod ihres Mannes mit Alkohol, verliert jeden Boden unter den Füßen. Nur zu Luisa hat sie noch Kontakt und hütet Hund Benno, wenn Luisa und Christopher auf Kulturreisen gehen.

Dorothee versinkt in Einsamkeit und Selbstmitleid, wobei sie wohl mehr um die alte Hündin Kitty trauert als um ihren Mann. Hunde als pflegeleichten, nie Widerworte gebenden Kinderersatz, als Joggingpartner oder Vorzeigeobjekte, am besten natürlich Rassehunde, spielen in der Wohngegend am Kühlmühlgraben eine wichtige Rolle.

Wie ein roter Faden zieht sich durch Silke Scheuermanns Roman die Beziehungsgeschichte von Luisa Temper ( in Scheuermanns letztem Roman „Shanghai Performance“ war sie noch Assistentin einer Künstlerin) und Christopher. Er arbeitet als Biologe an seiner Habilitation und wird Professor. Als Kunsthistorikerin kennt Luisa sich mit Tintoretto und dem Spätwerk von Rubens aus, im wahren Leben jedoch benimmt sie sich wie ein verzogenes vierjähriges Mädchen, das keine Verantwortung übernehmen kann. So brodeln ihre Eifersuchtsanfälle immer wieder auf als ihre neunjährige Nichte Anne die Sommerferien bei ihnen verbringt. Verbissen an der Perfektion ihres Lebens bastelnd, jedes Möbelstück muss einen berühmten Namen tragen, ob nun Marcel Breuer oder Ettore Sottsass, sieht sie nur sich und ihre Bedürfnisse, drängt Christopher in die Rolle des Beschützers und mutiert zu einem hysterischen Wesen. Zwar passen Kunst und Natur irgendwie nicht zusammen, die Konflikte jedoch zwischen Luisa und Christopher scheinen nach einer Ruhezeit, die jedoch von Problem zu Problem immer länger wird, vergessen.
So verknüpft Scheuermann über mehr als ein Jahrzehnt hinweg die Schicksale von Auf- und Absteigern, Tätern und Opfern, sie zeigt altkluge Kinder und unfähige, lieblose Eltern und Frauen, die in Drogen und Alkohol ihr Heil suchen.
Dabei geraten bei wirklich guter Beobachtungsgabe doch einige Figuren zu klischeehaft, wie die Fernsehmoderatorin und ihre soziale, heuchlerische Ader und späte Mutterschaft oder die beiden schwulen Widerlinge, die die Bewohner ihres Hauses in Blockwartmanier tyrannisieren.

Karriere und Kinder, Emanzipation und Liebe, Kunst und Leben sind letztendlich zum Scheitern verurteilt. Doch das Leben geht immer weiter.