Grégoire Delacourt: Die Frau, die nicht alterte, Aus dem Französischen von Kathrin Segerer, Atlantik Verlag by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2019, 176 Seiten, €20,00, 978-3-455-00651-3
„Hier bin ich, ein Wunder, ein Ungeheuer. Der Traum aller Frauen.“
Als Betty 1954 geboren wird, scheint die Welt noch in Ordnung. Allerdings kehrt ihr Vater, den sie nun Long John Silver nennen wird, aus Algier nach einem Staatsstreich nur mit einem Bein zurück. Nach vielen Differenzen zwischen Bettys Eltern wird die wunderschöne Mutter nach einem fröhlichen Tanzabend von einem Ford Taunus totgefahren. Da ist die Tochter dreizehn Jahre alt.
Fortan verläuft ihr Leben in Trauer um die Mutter. Doch Betty fängt sich und lernt mit achtzehn Jahren die Liebe ihres Lebens, André. Sie bekommt ihren Sohn Sébastian und lässt sich einmal im Jahr für einen Fotoband fotografieren.
Bald stellt sich heraus, dass Betty ab ihrem dreißigsten Jahr nicht mehr altert. Keine Falten, kein graues Haar, keine Hautveränderungen zeichnen ihr Gesicht, sie wird zum Ebenbild der Mutter, die ihr Leben zu dieser Zeit verloren hat.
Es ist der Albtraum jeder Frau, die Haut verliert an Spannkraft, die Fettpölsterchen weichen trotz ausdauernder Diät nicht mehr, der Stoffwechsel scheint stehen zu bleiben und die Haare fallen aus.
Betty wird diese Erfahrungen nie machen, allerdings altert sie innerlich genauso wie alle anderen Menschen und das heißt, sie benötigt eine Brille. Doch wie reagiert Bettys Umfeld, wie kann man mit einer Frau zusammenleben, die einfach immer gut aussieht? Ist das gemeinsame Altern nicht auch eine Lebensqualität, die niemandem so richtig bewusst ist und einfach nur negativ besetzt?
Liegt es daran, dass Menschen nicht mehr die Ausdauer und die Kompromissfähigkeit besitzen mit dem Partner alt zu werden? Betty würde gern mit André, der immer erfolgreicher in seinem Beruf wird, zusammenbleiben. Für ihn jedoch ist dies unmöglich. Da die Geschichte aus Bettys Sicht erzählt wird, kann der Leser nur Bettys Gedankenströmen folgen und ihre Verzweiflung über die Trennung nachvollziehen. Fähige Frauen verlieren ihre Jobs, unterziehen sich Schönheitsoperationen, da sie zu alt aussehen, die ewig Verlobten, so auch bei Odette, Bettys Freundin, verabschieden sich und suchen sich eine jüngere Frau.
Betty muss nie mit ihrem Alter tricksen und doch gerät sie zunehmend in Schwierigkeiten. André trennt sich von ihr, sie kann die Verlobte ihres Sohnes nicht treffen, da diese nie glauben würde, dass sie die Mutter von Sébastien ist. Betty lässt sich mit jungen Männern ein, die glauben, sie sei dreißig. Männer trennen sich von ihr, da sie sie mit ihrem Sohn sehen und denken, er sei ihr neuer Liebhaber. Alles gerät für die jung Aussehende nicht zum Vorteil, wie man sicher vermuten würde. Soll diese Geschichte uns immer älter werdende Leser trösten? Vielleicht.
„Alle träumen von dem, was mit mir geschah. Dabei war ich ein Zirkusfreak.“
Grégoire Delacourt schreibt in einem wunderbar leichten Ton von den doch so traurigen Geschehnissen, die Betty, deren verwirrter Vater glaubt, sie sei seine erste Frau, im Alter widerfahren werden.
Keine Frage, eine anregende Lektüre mit Tiefgang.