John Stephens: Emerald – Die Chroniken vom Anbeginn, Aus dem Amerikanischen von Alexandra Ernst, cbj, München 2011, 460 Seiten, €19,99, 978-3-570-15292-8

„Ich verstehe gar nichts.“

Am Weihnachtsabend werden die Geschwister Kate, Emma und Michael von einer Sekunde zur nächsten von den Eltern getrennt. Es muss sein, denn das Böse trachtet nach dem Tod der Kinder. Kurz kann die Mutter die vierjährige Kate noch bitten, auf die jüngeren Geschwister Acht zu geben und schon sind sie fort. 10 Jahre später setzt die Handlung erneut ein. Die drei Geschwister haben inzwischen eine qualvolle Odyssee durch verschiedene Waisenheime hinter sich. Sie kennen Hunger, Einsamkeit und Gewalt. Was alle drei verbindet ist der Glaube und die Hoffnung, dass ihre Eltern noch leben und sie irgendwann zusammen sein werden. Michael klammert sich an das Buch seines Vaters, es handelt von Zwergen, die es ja eigentlich gar nicht gibt. Emma, 11 Jahre alt, ist die aufmüpfige Kämpferin unter den Geschwistern. Und Kate hat die Mutterstelle eingenommen. Das neue Zuhause der Geschwister soll nun in Cambridge Falls sein. Immer wieder wird Kate von Träumen heimgesucht, die vieles, was sie erlebt, vorausnehmen. Auch dieses riesige Haus in dem seltsamen Ort hat Kate bereits in ihrer Vision gesehen. Früher lebte die Gegend vom Bergbau, doch heute scheint das Leben in Cambridge Falls erstarrt. Bei ihrem Erkundigungsgang durch das Waisenhaus, dass ein Dr. Pym leiten soll, entdecken die Kinder ein rätselhaftes Buch. Die Fotos von Cambridge Falls, die ihnen der alte Abraham, der gute Geist des Hauses, gegeben hat, können die Kinder mit dem Buch als Hin-und Rückfahrkarten nutzen. Nach und nach wird ihnen klar, dass sie in ein Zauberreich abgetaucht sind, denn einst wurde die magische von der menschlichen Welt verdrängt. Hier jedoch herrscht die doppelgesichtige Gräfin, die mit brutalster Gewalt die Männer von Cambridge Falls zwingt, die Kinder und Frauen sind in Geiselhaft, ein Buch zu suchen, dass sich angeblich unter der toten Stadt befindet. Die Dämonenkrieger halten die Gefangenen in Schach. Doch welche Rolle spielt der so genannte Heimleiter Dr. Pym? Ist er ein Zauberer, der die Kinder aus einem ganz bestimmten Grund nach Cambridge Falls gelockt hat? Schnell entdeckt Kate, dass sie Macht über das Buch hat und durch die Zeit mit ihm reisen kann. Emerald heißt das Buch, Smaragd, und es ist eines der drei Zauberbücher, die zu den verschwundenen Chroniken vom Anbeginn gehören.

Die Kinder finden heraus, dass Magie Wirklichkeit ist und schon werden sie von Dämonenkriegern gejagt, von der Gräfin, einer Hexe bedroht, von einem falschen Zwergenkönig ( aha, es gibt sie doch ) beinahe umgebracht, vom weisen Zauberer Dr. Pym durch die Zeiten manövriert und anderen Fantasiegestalten bedrängt, aber auch gerettet. Klar ist, die Kinder müssen die Chroniken von Anbeginn aufspüren und so wie Kate in ihnen aufgehen, um mit ihren Eltern wieder vereint zu sein. Diese sind Professoren, die sich mit dem eher belächelten Feld der Magie beschäftigen.

Immer wieder in neue Zeitabschnitte der Vergangenheit zurückversetzt, sollte sich für den Leser ein Puzzle zusammensetzen. Doch es werden so viele Fragen aufgeworfen, dass auch die Hauptfiguren, der einzige, der vermitteln kann ist Dr. Pym, nicht mehr durchsehen. Wann hat der Zauberer das Buch in der Vergangenheit versteckt, wer kämpft eigentlich noch mit wem und wann entwirrt sich der Faden? Zum Glück müssen Kate, Emma und Michael immer wiedermal ihre Geschichte rekapitulieren, um selbst noch durchzusehen. Die rasanten Wendungen, die Visionen und die Streitereien unter den Kindern beschleunigen den Handlungsverlauf, der jedoch immer wieder von den undurchsichtigen Zeitsprüngen ausgebremst wird.

Der amerikanische Autor John Stephens, mit reichlich Vorschusslorbeeren bedacht, offeriert in seinem Debüt ein typisches Fantasy-Szenarium, nicht mehr und nicht weniger. Schnell, witzig und auf den Punkt geschrieben sind die Dialoge und hier mag der Drehbuchautor seine Stärken ausspielen. Einzelne skurrile Nebenfiguren wirken überzeichnet, andere in ihrer Machtgier äußerst realistisch. Doch insgesamt fehlt es an originellem Ideenreichtum ( Tolkien, Lewis, Pullman, Rowling lassen grüßen), die einzelnen Handlungsstränge sind in sich so verheddert, dass der Leser ( fraglich, ob das Buch laut Verlag wirklich für Leser ab 10 Jahren geeignet ist ) ab einem bestimmten Punkt Mühen hat, der Jagd in den unterschiedlichen Zeiten nach dem magischen Buch noch zu folgen. Kate, als ruhender und zentraler Pol der kleinen Familie, wird fast ohnmächtig hin- und hergetrieben, immer in der Angst lebend, ihrer Aufgabe die Geschwister zu beschützen, nicht gewachsen zu sein. Emma hat die Rolle der nervenden Schwester und Michael mit Brille ist der Zwergenexperte, der allen mit seiner Besserwisserei auf den Wecker geht. Eingebettet in eine magische Welt halten die Kinder letztendlich zusammen, denn sie sind die Auserwählten, an denen das Wohl und Wehe aller hängt.