Lee Child: Der Spezialist – Ein Jack – Reacher – Roman, Aus dem amerikanischen Englisch von Wulf Bergner, Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe, München 2021, 446 Seiten, €22,00, 978-3-7645-0761-9


„Warum also? Sie waren beide Mitte zwanzig und gesund. Patty dachte eine Weile über Organhandel nach. Vielleicht würden ihre Nieren bald im Internet versteigert werden. Oder ihre Herzen, ihre Lungen oder Hornhäute. … Wer war sie, und wer war Shorty? Wozu waren sie gut?“

Shorty Fleck und Patty Sundstrom sind zwei völlig harmlose junge Erwachsene, die ihren Traum irgendwo in Florida verwirklichen wollen. Sie haben wenig Geld und dazu noch einen defektes Auto. Sie landen in einer Einöde voller Wälder, in einem Motel in der Nähe von Laconia, New Hampshire.
Ohne zu ahnen, was ihnen geschehen könnte, vertrauen sie fünf Einheimischen, die sich um die Reparatur des Autos angeblich kümmern wollen und dabei immer mehr von Shorty und Patty erfahren. Wie Anschauungsobjekte beobachten die fünf live die Verhaltensweisen der beiden und über Kameras im Zimmer und im Bad. Dass sie diesen Ort ohne WLAN, angeblicher toten Telefonverbindung und ohne Handyempfang nicht mehr verlassen werden, scheint völlig klar. Unklar bleibt über eine lange Zeit, was die fünf Männer, von denen einer auch noch Reacher heißt, mit den beiden vorhaben. Auffällig ist, dass mehrere Fahrzeuge einfach so in der Gegend herumstehen und bald über Privatflugzeuge noch weitere Männer mit Geldtaschen, auch von der Wallstreet, anreisen. Zwar versuchen Shorty und Patty den Ort zu verlassen, kommen allerdings nicht weit. Als sie in ihrem Zimmer eingeschlossen werden, schließen sich auch die Jalousien. Für die Angereisten werden diese hochgehoben und Patty und Shorty fühlen sich wie im Zoo, nur sind sie die Tiere.

Zur gleichen Zeit reist Jack Reacher, der einst beim Militär gedient hat, von Maine aus südwestlich Richtung Laconia. Hier hat einst seine Familie gewohnt, allerdings ist sein Vater Stan bereits mit siebzehn Jahren abgehauen, um beim Marine Corps anzuheuern. Wie immer in den Reacher – Geschichten legt sich der Ex-Soldat ohne Waffen, ohne Handy, ja fast ohne Identität mit einem Typen an, der seine Stellung ausnutzt. Auch in dieser Geschichte läuft Reacher des Nachts einem Paar über den Weg, wo klar ist, der Sohn eines stadtbekannten reichen Mannes, ein junger Rowdy belästigt eine Frau, die ihren miesen Job dem Vater bedankt. Reacher kennt keine Gnade und weiß doch, dass sich nun aus Rache eine Gang finden wird, die ihn jagen könnte. Auch die Polizei vor Ort, die den jungen Mann, der arg verletzt ist, schätzen ihn wenig. Reacher versucht sich unsichtbar zu machen, recherchiert aber im Stadtarchiv weiter nach seiner Familie.
Reacher wird sogar einen seiner Verwandten aufspüren und wird, wie kann es anders sein, Shorty und Patty in ihrer absolut ausweglosen Lage verteidigen.
Wir krank ein Mensch sein muss, wenn er sich für Geld im Internet ein „Abenteuer“ der besonderen Art kaufen kann, mag sich niemand wirklich vorstellen.
Dass ein Flug Richtung Mond für die Superreichen nun endlich der Traum aller Träume ist, erschüttert, wenn man bedenkt, an wie vielen Orten in der Welt, u.a. Madagaskar und wahrscheinlich auch Nordkorea die Menschen ohne Hilfe ihrer Regierungen verhungern.

Jack Reacher wird die Welt nicht retten. Mit Hilfe seines rationalen Verstandes wird er zwei unschuldige Menschen zu einem neuen Leben verhelfen und ihnen einen Neustart weit fort ermöglichen.

Ich kann mich nur wiederholen: Das Strickmuster der durchaus gut lesbaren Reacher – Romane bleibt unverändert, allerdings dreht sich die Spirale der Gewalt innerhalb der Handlung um so heftiger. Gelingt Lee Child die Darstellung der zwischenmenschlichen Beziehungen nicht sonderlich subtil, so spannt er doch den dramatischen Bogen lang an und lässt den Leser über eine weite Strecke im Ungewissen.

Ja, man sollte Lee Child erneut raten, die Jack-Reacher -Reihe zu schließen, wie er es eigentlich vorhatte.