Gilles Paris: Der Glühwürmchensommer, Aus dem Französischen von Carina von Enzenberg, Bloomsbury Verlag, Berlin 2015, 224 Seiten, €16,99, 978-3-8270-1229-6
„Für mich ist die Welt, wie ein riesengroßes Fragezeichen.“
Der neunjährige Viktor Beauregard ist ein eloquenter und gewitzter Erzähler, der seine Umwelt genauestens beobachtet. Er will unbedingt ein Buch für seine Mutter, die Buchhändlerin ist, schreiben. Sie vergräbt ihre Nase pausenlos in neuen Titeln, um diese dann in ihrem Blog zu empfehlen. Bis Viktor zwei Jahre alt war, lebte sie noch mit dem Vater ihrer Kinder Viktor und Alicia, die jetzt 14 Jahre ist, zusammen.
Jetzt hat Viktor allerdings noch eine weitere Mutter, Pilar aus Argentinien, die als Malerin arbeitet. Viktors Eltern sind nicht geschieden, aber sein Vater ist irgendwie ein Kind geblieben. Er reist als Fotograf durch die Welt und gibt einfach zu viel Geld aus bis der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht. Von seiner Schwester Félicité, die bei einem Unfall ums Leben gekommen ist, hat er eine großzügig geschnittene Wohnung in Roquebrune-Cap-Martin in der Nähe von Nizza geerbt. Die Familie jedoch mochte sie nicht und Viktor möchte unbedingt klären, warum das so ist.
Jeden Sommer reist die Familie nun in den Sommerferien ans Meer. Umgeben von lauter Frauen, seine Mütter, Alicia, der Hausmeisterin Rosita und seiner künftigen Freundin Justine hat Viktor endlich einen Freund gefunden, Gaspard Clerget.
Gern beschreibt Viktor Alicias für ihn unverständliches Verhalten. Immer wieder neu sucht sie sich Jungen und umgarnt diese, um sie wieder mit anderen eifersüchtig zu machen. Die Freundinnen seiner Schwester sind ein großes Rätsel für ihn. Sie kichern und flüstern sich Geheimnisse ins Ohr. Viktor hat keine Ahnung, worum es da gehen könnte.
Und dann trifft Viktor die Baronin, die bei einem Unfall ihre Familie in Afrika verloren hat. Er erinnert sie an ihren Sohn und ihm erzählt sie von der Magie der Glühwürmchen.
„Die Baronin hat recht: Glühwürmchen wirken magisch auf Menschen, die einen Sinn für Magie haben. Und wer außer uns Kindern sollte das sein?“
Und dann seltsamerweise trifft Viktor die Zwillinge, die aussehen wie Raben. Sie führen ihn in die Villa Cypris, denn für sie öffnen sich alle Türen. Sie behaupten ihre Eltern seien tot und sie würden bei ihrem Onkel Theo leben. Nach und nach stellt sich jedoch heraus, dass dieser Onkel ebenfalls längst tot ist und die Zwillinge auch.
Einst ist ein Kind, dass die Schwester Félicité mit in den Urlaub genommen hat, beim Baden ertrunken. Davon erzählt die Baronin Viktor. Könnten das nicht doch die Zwillinge gewesen sein? Nach diesem Unfall hat sich Félicité, so die Baronin, sehr verändert. Und doch kannten sich die beiden Frauen gar nicht richtig.
Geheimnisvoll liest sich die Geschichte von Viktor, die stilvoll mit allen möglichen Märchenelementen spielt. Da ist die Hexe, das Kindermädchen von Justine, die weise Frau, die Baronin und feenähnliche Wesen. Ob erträumt, erdichtet oder doch der realen Welt abgeschaut, wie der Junge behauptet, den Leser zieht diese Geister-, Schauer-, Märchen- oder auch Familiengeschichte in ihren Bann. Gekonnt spielt der Autor mit Naturphänomenen, die die Geschehnisse in ein gleißendes Licht ziehen.
Sind es die Wunschgedanken des Jungen, der möchte, dass seine Eltern, die sich doch noch lieben, wieder zusammenleben? Nichts vermisst der Jungen so sehr wie seinen Vater.
Viktors Buch wird zum Geburtstag der Mutter fertig sein. Die Kinderperspektive ist keine so ungewöhnliche, denn durch sie kann der Autor Gilles Paris unbefangen und auch unvoreingenommen auf die Erwachsenenwelt schauen. Was sein kleiner Held aus seinen Beobachtungen jedoch schlussfolgert, ist dann wieder eher erwachsen als kindlich. Leider haben sich in die Übersetzung ein paar grammatikalische Fehler eingeschlichen.
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