Cecelia Ahern: Der Glasmurmelsammler, Aus dem Englischen von Christine Strüh, Krüger Verlag, Frankfurt a.M. 2015, 343 Seiten, €19,99, 978-3-8105-0152-3

„Ich erzähle Cat von Hamish und wie wir den Leuten das Geld aus der Tasche gezogen haben, ich erzähle von meinen Brüdern, …. .“

Fergus Boggs wohnt seit seinem Schlaganfall in einem Pflegeheim. Mal kann er sich detailliert an Momente aus der Vergangenheit erinnern, mal sind sie völlig ausgelöscht. Als seine Tochter Sabrina drei Kisten aus dem Nachlass des Vaters, der hoch verschuldet war, erhält, staunt sie, denn sie findet eine Sammlung verschiedenster Murmeln, wertvolle Stücke und weniger wertvolle mit Verpackung. Der Vater hat in seiner akkuraten Schrift eine Inventarliste angefertigt. Allerdings fehlen die Murmeln, die vom Verkaufspreis den höchsten Wert erbringen würden. Als Sabrina ihrem Vater einige Murmeln zeigt, beobachte sie in seinem Gesicht eine Veränderung. Etwas Entscheidendes geht in ihm vor, aber er kann und will nicht sprechen.

Cecelia Ahern erzählt ihre Familiengeschichte über Fergus Boggs Doppelleben aus der Sicht der Tochter und der des Vaters. Fergus ist in Irland mit vielen Brüdern aufgewachsen. So lange er denken kann, bekam die Mutter einen Sohn nach dem anderen. Fergus erlebt in seiner Kindheit Gewalt, aber auch Zuneigung. Und so schenkt ihm ein Priester zum Trost seine erste Murmel, der viele weitere folgen werden, „meine Bloddies“. Fergus und sein älterer Bruder Hamish perfektionieren das Murmelspielen und sie beginnen sogar, damit Geld zu verdienen. Als Hamish von den Eltern vor die Tür gesetzt wird und er Anfang Zwanzig in London zu Tode kommt, muss Fergus ihn identifizieren. Zwischen den Brüdern gab es eine tiefe Verbindung, Hamishs früher Tod, ein Trauma für Fergus.

Aber Fergus hat in seiner riesigen Familie niemanden, mit dem er wirklich reden kann. Alles muss er mit sich allein ausmachen und so flieht der junge Mann, der nicht wie die anderen Brüder in der Fleischerei des Stiefvaters schuften will, in die Welt der Zahlen und die andere, feinere Welt seiner Ehefrau Gina. Als er auf der Hochzeitsreise nach Venedig alles Geld für eine traumhaft schöne Murmel ausgibt, spürt er an Ginas Reaktion völliges Unverständnis. Nie wird er ihr von seiner Leidenschaft für das Murmelsammeln und das Spiel mit den bunten Glaskugeln erzählen, das sie als Kinderkram abtut. Indem sich Fergus immer mehr von seiner Familie, für deren Direktheit und auch teilweise vulgäre Art er sich schämt, entfernt, um so mehr verliert er auch sich selbst. Auch wenn er es nie wollte, er wird Gina anlügen und betrügen. Fergus bleibt immer in sich verschlossen und so geht die Ehe mit Gina dem Ende entgegen, da ist Sabrina fünfzehn Jahre alt.

Jetzt beginnt die Tochter durch ihre Nachforschungen nach den verschwundenen Murmeln ihren Vater, den sie als unbarmherzigen Menschen und nur an Sportsendungen interessiert in Erinnerung hat, neu kennenzulernen.

Wenn Fergus angeblich auf Dienstreisen war, dann hat er mit seinem Team, den Electric Slags, erfolgreich an Murmel-Wettkämpfen unter falschem Namen teilgenommen. Fergus\‘ eigene Verschwiegenheit hat ihm das Leben schwer gemacht.

Auch Sabrina ist eine Schweigerin und hat mit ihrem Mann Aidan aus diesem Grund auch ihre Probleme. Doch dann lernt Fergus Cat kennen und ihr kann er alles erzählen, aber zu diesem Zeitpunkt ist es längst zu spät.

Cecelia Ahern breitet vor dem Leser ein fein erzähltes Psychogramm eines Mannes aus, der vieles verheimlicht hat und daran privat wie beruflich gescheitert ist. Und sie erzählt von der Geschichte der Murmel und des Murmelspiels, das heute leider fast in Vergessenheit geraten ist.